Rheingauer Gebück
Die Grüne Grenze der Rheingauer
Mit einer 38 Kilometer langen grünen Grenze, dem "Rheingauer Gebück", schützten sich die Rheingauer 500 Jahre lang gegen Feinde. Im 12. wurde diese Grenze aus einer dicht verwachsenen Hainbuchenhecke errichtet. Bis zum 18. Jahrhundert diente das Gebück, das von Walluf bis Lorchhausen verlief, als Schutz der Region gegen Feinde. Den Namen erhielt die Grenze durch ihre Machart, denn die Zweige der Buchen wurden "gebückt" und miteinander verflochten. Zur Sicherung der durch die Hecke verlaufenden Straßen in Nachbarorte wurden mächtige, bewachte Bollwerke als Tore errichtet. Im Wispertal fand man mehrere Burgen, die dem Schutz dieser Grenze dienten. Heute kann man immer noch einige Reste dieses ökologischen Schutzwalles sehen, neue Gebückstücke wurden vor einigen Jahren sogar wieder verflochten. Noch heute kann man eines der Schutztore besichtigen, die Mapper Schanze im Wald bei Oestrich-Winkel.
Schon früh strebten die Rheingauer nach Freiheit, Eigenständigkeit und Demokratie. Um sich gegen Nachbarn zu behaupten, schlossen sich Adel und Bürger zur "Landschaft Rheingau" zusammen, was auch zu einer gemeinsamen militärischen Verteidigung führte. Im Süden war der Rhein eine sichere Grenze. Aber gerade an der offenen Ostseite mussten sich die Rheingauer vor Angriffen besonders schützen. Ende des 11. und Anfang des 12. Jahrhunderts waren die Rheingauer auf die intelligente Idee gekommen, sich mit der Natur zu verbünden und mit einer "grünen Mauer" vor Angriffen von Feinden aus dem Osten zu schützen.
Dicht an Dicht wurden Triebe und Zweige von gekappten Bäumen eng miteinander verflochten, über etliche Kilometer reichte die meterhohe, undurchdringbare Hecke. Dazu "bückte" man die Zweige und Äste von Hain- und Rotbuchen, aber auch vereinzelt von Eichen, Spitzahorn und Eschen und verflocht die gebogenen Äste ineinander. So entstand ein engmaschiger natürlicher Zaun aus Bäumen, der stellenweise bis zu hundert Meter breit gewesen sein soll. Durch angepflanzte und wild gewachsene Sträucher, oftmals mit Dornen, wurde das Durchqueren völlig unmöglich.
Die Wege, die durch das Gebück zu den Nachbarorten führten, wurden mit Bollwerken gesichert. Jeder Gemeinde wurde ein Bollwerk zugeordnet, dass bei Gefahr von den Bewohnern besetzt und verteidigt wurde. An besonders gefährdeten Stellen gab es auch Verteidigungsanlagen ohne Ein- oder Ausgang. Von Niederwalluf bis zur Klingerpforte, der heutigen Klingermühle, gab es 16 solcher Bollwerke. Die Wachtürme waren durch einen Fahrweg miteinander verbunden, den sogenannten Rennweg. Im Falle eines Angriffs konnte man hier rasch Soldaten und Kriegsgerät zur Verteidigung heranschaffen. Anders als heute waren die Höhen des Rheingaus früher fast waldfrei und das Gelände weithin überschaubar. Potentielle Angreifer hatten kaum eine Chance, sich der Schutzhecke ungesehen zu nähern. Als zusätzliche Hürde gegen ungebetene Gäste waren an der Ostseite des Gebücks die Anlagen mit einem Wall und einem Graben verbunden. Im Norden führte das Gebück von Schlangenbad über Hausen, die Mapper Schanze und den Weißenthurm bis hinauf zur Aachener Schanze und dann nach Westen zum Rheinufer bei Niedertal. Die Pflege und Wartung unterlag den Gemeinden, durch deren Gemarkung das Gebück verlief. Außer den bewachten Pforten wurde kein Weg, nicht einmal ein Trampelpfad geduldet. Hindurchkriechen oder gar Abschneiden auch nur eines einzigen Triebes war streng verboten.
Diese Verteidigungsanlage aus undurchdringlichen Bäumen und Bollwerken schützte die Rheingauer rund 500 Jahre lang vor Feinden. Schließlich galt es nicht nur das Land zu schützen, die Rheingauer hatten auch ihre Freiheitsrechte zu verteidigen, die in anderen Landesteilen nur den Städtern zugestanden wurden. Die Verfassung von 1324 garantierte jedem Bewohner des Rheingaus persönliche Freiheit. Es galt das gleiche Recht für jeden, der "einen rauchenden Herd und eine ständige Wohnung" besaß. Damit war man auch vor Leibeigenschaft, Frohndienst und Leibzins geschützt.
Die abschreckende Wirkung des Gebücks zeigte sich 1461 beim Angriff des Erzbischofs von Isenburg. Nach dem vergeblichen Versuch, bei Walluf in den Rheingau einzudringen, soll der Bischof die Verteidigungsanlage begutachtet und für uneinnehmbar befunden haben. Ein Jahr später wollte Kurfürst Friedrich I. die Schmach vergessen machen, scheiterte aber ebenfalls. Über Jahrhunderte hin war das Gebück der sicherste Schutz des Rheingaus. Erst 1631 konnten die Schweden unter König Gustav Adolf die Rheingauer überwältigten. 1770 wurde das Gebück schließlich aufgegeben und größtenteils entfernt. Es entsprach nicht mehr der modernen Waffen- und Kriegstechnik.
Noch heute kann man das letzte erhaltene Torbollwerk des Gebücks besichtigen, die Mapper Schanze, eine einst mit bewaffneten Wachmännern besetzte Kontrollstation der Straße von Oestrich in den Untertaunus. Neben der Mapper Schanze hat man ein Stück jungen Gebücks angelegt, das die einstige Herstellungstechnik erkennen lässt.
Karte: OpenStreetMap