Ein außergewöhnlicher Erntebericht

07.01.2008

Die Kelterhäuser sind aufgeräumt, in den Kellern gären die Moste. Deutschlands Spitzenwinzer sind sehr zufrieden: Spritzig frische Gutsweine und beste Lagenweine versprechen echte Entdeckungen, Geschmackserlebnisse und ausdrucksstarke Moste aus den Ersten Lagen. Das Wort "Jahrhundertjahrgang" wurde bereits für 2003 und 2005 verwendet.

So fällt es schwer zu beschreiben, was der Wein-Jahrgang 2007 im Rheingau erwarten lässt. Andreas Unkelbach recherchierte.

2007 war ein ungewöhnliches Jahr - von meteorologischen Besonderheiten geprägt: Durch die hohen Temperaturen im April kam es im Mai zu der frühesten Blüte aller Zeiten. "Das außergewöhnlich warme Wetter im April gab der Vegetation einen Vorsprung von fast vier Wochen, der sich allerdings durch die kühleren Temperaturen im Sommer auf drei Wochen reduzierte", erklärt Theresa Breuer. Und las im September schon Riesling. Nach warmen Tagen im Juli mit genügend Feuchtigkeit, die vielleicht von manchem Urlauber als störend empfunden wurde, setzte sich im Spätsommer und Frühherbst das - für den Wein - günstige Wetter fort. Sonnige und warme Tage in Kombination mit kalten Nächten sorgten für eine hervorragende Aromenausbildung. Die gute Wasserversorgung löste viele Mineralstoffe im Boden, die von den Reben aufgenommen werden konnten. Dadurch sind sehr extraktreiche Weine zu erwarten, die zudem das Terroir, den Einfluss der Lage, sehr gut zum Ausdruck bringen. "Wer ist nicht zufrieden?", zeigt sich Theresa Breuer mehr als begeistert, fragt sich aber sogleich: "Wo ist der Haken?", zu gut scheint das zu sein, was jetzt in den Kellern reift. Einzige Variable im Winzerkosmos: Ein zu erwähnendes Wetterextrem ereignete sich am 7. und 8. Juli. Die Weinbergtemperatur auf Schloss Johannisberg stieg von circa 25 auf über 40 °Celsius an, wodurch an den Trauben starke Schädigungen in Form von "Sonnenbrand" ausgelöst wurden. "Trauben, die unmittelbar diesen hohen Strahlungswerten ausgesetzt waren, sind regelrecht verkocht", beschreibt Christian Witte das Phänomen. In den Folgemonaten konnte man feststellen, dass sich die Beerenhaut deutlich verfestigte. Man nennt diese Beeren "Lederbeeren".

Doch andernorts herrscht Euphorie. "Sowohl beim Riesling als auch beim Spätburgunder konnten wir zwei Wochen früher als üblich vollreife, gesunde Trauben ernten", berichtet Gerald Ottes aus Lorch: "Die Moste und jungen Weine präsentieren sich sehr reintönig mit enormer Fruchtfülle und Mineralität." Das Lorcher Schieferterroir ist voll ausgeprägt und sorgt allerseits für zufriedene Mienen. "Fast alle geernteten Weine liegen im Spätlesebereich und zum Großteil noch höher", sagt Ottes stellvertretend für viele Winzer und Kellermeister. Als Krönung des Jahrgangs konnte er durch Selektion von über zwei Hektar Rebfläche im Lorcher Kapellenberg eine opulente, sehr konzentrierte Trockenbeerenauslese mit 198 Grad Oechsle ernten.

"Auch wirtschaftlich ein ganz toller Jahrgang. Menge und Güte sind überaus zufriedenstellend. Vom Kabinett Wein angefangen bis hin zu reichlich Trockenbeerenauslese brachte der Jahrgang alles erdenklich Wünschenswerte beim Riesling. Ebenso lieferte der Pinot Noir sehr gute bis ausgezeichnete Qualitäten bei ordentlicher Menge. Letztlich müssen wir beim Riesling jedoch abwarten, wie die Weine sich im Frühjahr präsentieren. Im Moment probieren sie sich wirklich toll, dicht, fest, mineralisch und sehr balanciert in der Säure. Von der Frucht ganz zu schweigen, die aus einem gesunden Lesegut resultierend Anlass zu großer Hoffnung gibt. Auch beim Pinot Noir kann man erst nach abgeschlossener malolaktischer Gärung etwas sagen. Im Moment steht fest, dass die Weine sich vielversprechend anfühlen", versichert August Kesseler aus Assmannshausen.

Und wie aus einem Mund wird schon jetzt der neue Jahrgang von Stefan Ress und seinem Sohn Christian aus Hattenheim gelobt: "Quantitativ ist 2007 bereits ein Spitzenjahr." Nach den sehr viel niedrigeren Erträgen von 2005 und 2006 sind sie sehr zufrieden. "Dieses Jahr hat die Ernte richtig Spaß gemacht, vor allem wenn man noch die enormen Anstrengungen im letzten Jahr wegen des damals sehr schlechten Wetters vor Augen hat. Insgesamt haben wir fast 340 000 Liter Most gelesen." Geradezu entspannend war für viele die 2007er Ernte im Vergleich zu den "Chaostagen" 2006. "Im Gegensatz zu 2006, in dem die Fäulnis uns zu einem enormen Tempo bei der Ernte zwang, waren es nun seit dem Erntebeginn am 10. September fast sechs bis sieben Wochen, in denen wir voll ausgereifte, mit feinen Aromen ausgebildete Trauben gelesen haben." Stefan Ress rechnet vor: "Die ganz frühe Blüte und das tolle Wetter im Herbst haben dazu geführt, dass unsere Trauben bis zu 140 Tage am Stock verbracht haben." (Anm. der Redaktion: Üblich sind eher circa 100 Tage!) Dies macht sich in einer "unheimlichen" Aromatik bemerkbar. Hatten die "Jahrhundertweine" von 2003 Spitzenwerte von 260 Grad Oechsle, sind es 2007 "nur" 234, doch gemessen am Mostgewicht eines mittleren Jahrgangs in Deutschland, das zwischen 70 und 80 Grad Oechsle liegt, ist das immer noch sensationell.

Ähnliches kann Theresa Breuer berichten: "Während der sich lang hinziehenden Lese, die wir bei Grau- und Weißburgunder am 10. September begonnen haben, regnete es nur zweimal. Wie bei uns üblich, haben wir viele Weinberge in mehreren Durchgängen gelesen und in allen die Trauben per Hand selektioniert, obwohl mittlerweile mehr als 70 Prozent der Weinberge auch im Rheingau mit Maschinen gelesen werden. Bei uns haben 33 Erntehelfer knapp 7 000 Stunden in den Weinbergen gearbeitet." Und diese Akribie hat sich gelohnt: "Der Gesundheitszustand der Trauben war hervorragend." Doch den feinen Unterschied mache diesmal die Säure, die dem 2003er fehlt. "Bei für unseren Weinstil idealen, etwas höheren Säurewerten von 7,6 g/l bis 11,2 g/l erreichten wir sehr gute Mostgewichte", freut sich Breuer. Diese knackige Säure in Kombination mit einer bisher nie erlebten Frucht lässt schon jetzt einen großen Jahrgang erwarten. Das i-Tüpfelchen auf die perfekte Lese setzt vielerorts eine Phalanx von Beeren- und Trockenbeerenauslesen mit herrlichen Fruchtsäuren, wie sie in vielen Regionen seit Jahren nicht möglich war. Neben den trockenen Weinen, die bei Breuers alle als Qualitätsweine auf den Markt gebracht werden, haben die Rüdesheimer von 32 Hektar Weinbergen edelsüße Auslesen, außergewöhnliche Goldkapsel-Auslesen und auch Trockenbeerenauslesen im Keller.

"Der Herbst war wirklich klasse", freut sich auch Michael Burgdorf von den Weingütern Wegeler im Oestricher Gutshaus. "Wir konnten fünf Wochen bei bestem Wetter - kühle Nächte, trockene Tage - alle gewünschten Selektionen einfahren." Darüber hinaus haben Wegelers Trockenbeerenauslesen von 260, 297 und 312 Grad Oechsle bei Säuren von 12,5 bis 13,0 g/l im Geisenheimer Rothenberg geerntet. So wie es aussieht, ist die 312er TBA der Rekord im Jahr 2007 in Deutschland und laut Mario Scheuermann unter den Top Ten der letzten 100 Jahre. "Sie sehen, wir nehmen die Weinlese sportlich", freut sich der engagierte Weingutsleiter.

Und was im Keller der Weingüter Wegeler gerade einer großen Zukunft entgegenblubbert, versetzt das gesamte Team in Hochspannung. Nachdem sich die Weingüter Wegeler bereits 2003 und 2005 über außergewöhnlich hohe Mostgewichte freuen durften, wurden diese jetzt noch einmal getoppt. Nach 306 Grad Oechsle im Jahr 2003 zeigte die Mostwaage 2005 309 Grad Oechsle für eine Riesling-Trockenbeerenauslese, gelesen im Geisenheimer Rothenberg. Der aktuelle Jahrgang aus dem Rothenberg setzt mit sagenhaften 312 Grad Oechsle und bemerkenswerten 13 Gramm Säure pro Liter noch einen obendrauf. Der Aufwand, der betrieben wurde, um diese Trockenbeerenauslese auf die Kelter zu bringen, war immens. Unter Anleitung von Chef- Oenologe Michael Burgdorf lösten 60 Leser per Hand die einzelnen, eingetrockneten Riesling-Beeren aus den am Stock hängenden Trauben heraus. Knapp 30 000 Weinstöcke des Weinbergs wurden durchforstet - und brachten schließlich gerade einmal 21 Liter hochkonzentrierten Most. Als der Ruf "312 Grad" durchs Weingut hallte, machte eine ehrfürchtige Stille dem ersten Jubel Platz. Noch ist alles drin - vom Siegertreppchen bis zum Süßmaul-Schnäppchen. Denn keiner weiß ganz genau, wie es mit dem Superstoff weitergehen wird. Doch Liebhaber und Sammler dieser edelsüßen Spitzen dürfen sich gewiss auf die traditionellen VDP-Versteigerungen freuen, wo die besten Weine alljährlich unter den Hammer kommen.

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