Wie schmeckt der Rheingau?
11.07.2008
Riesling wächst überall, aber im Rheingau werden Maßstäbe gesetzt bezüglich Frucht, Säure, Länge. Grundlage hierfür bieten die geografischen Bedingungen mit ihrem eigenen Mikroklima am Rheinfluss, dem Kälteschutz des Taunusgebirges und den sanft ansteigenden Hügeln in Südhanglage.
Geübte differenzieren zwischen saftig-rassigem Riesling des mittleren Rheingaus und den vielschichtigen, zarten Lorcher Weinen. Andreas Unkelbach entdeckt für VivArt den Boden der Tatsachen.
Viele Winzer im Rheingau besinnen sich auf Herkunft und Authentizität ihrer Weine. Sprechen sie bei deren Ausbau von Terroir, möchten sie meist ihrem Boden helfen, sich im Wein auszudrücken, wie es Stuart Pigott in seinem Buch "Wein spricht Deutsch" trefflich beschreibt, die Weine sollen "ihre Herkunft im Gesicht tragen", wie es einst der Winzer Bernhard Breuer visionär formulierte. Bodeneigenschaften bestimmen nicht allein das Wachstum der Reben, sondern beeinflussen auch den Charakter der Trauben, die Mine - ralität ihres Saftes und folglich auch den Geschmack des Weines. Die Weinbergsböden des Rheingaus gehen in ihrem geologischen Ursprung auf ein tertiäres Meer (Mainzer Becken) zurück, dessen nördliches Ufer das Rheingau bildet. Dort findet man einerseits Kies, Sand sowie lehmige bis tonige Böden, durchsetzt mit Mergel und Löss, andererseits bei Rüdesheim und in den Höhenlagen des Rheingaus, in Kiedrich und in Rauen thal, als Ausläufer des Taunusgebirges, Quarzit- und Schieferverwitterungsböden. Man unterscheidet im Rheingau 119 Einzellagen. "Lage" meint Gebiete, aus deren Erträgen "gleichwertige Weine gleichartiger Geschmacksrichtung hergestellt zu werden pflegen" (Deutsches Weingesetz, 2, Begriffsbestimmungen). Gleichwohl ist es eine grobe Vereinfachung, Terroir lediglich mit Bodenverhältnissen in Zusammenhang zu bringen. Hier zählt die Summe des Ganzen: Rebsorte, Gelände, Kleinklima, Gestein und Boden sowie die Arbeit des Winzers in Weinberg und Keller. "Die Kombination der Faktoren verleiht jeder Lage ihr bestimmtes Terroir, das sich in ihren Weinen über die Jahre mehr oder weniger einheitlich ausdrückt" (Gladstones/ Smart). Demnach kann man den Rheingau grob in drei "Regionen" einteilen: Unterer Rheingau (Rüdesheim-Lorchhausen), Oberer Rheingau (Wiesbaden, Rüdesheim) und der Maingau (Hochheim, Flörsheim und Wicker). Unterer Rheingau: Lorch gehört geografisch zum Mittelrheintal. Deshalb unterscheidet sich auch das Terroir der Lorcher Lagen von denen des übrigen Rheingaus. "In Lorch findet man grauen Schiefer und als Besonderheit im Lorcher Bodental-Steinberg den violetten Phyllit-Schiefer, teilweise ist auch Quarzit neben dem dominierenden Schiefer beigemengt", beschreibt Gerald Ottes die Bodenverhältnisse um Lorch. Ottes bringt außerdem die Exposition zur Sonne, das Wasser, die Kaltluft, die Wärmespeicherung des Bodens, den Steinanteil und den Windschutz mit ins Spiel: "Die Lorcher Lagen zählen zu den steilsten Weinbergen des Rheingaus, wodurch auch die Sonneneinstrahlung intensiver ist. Der bei Lorch seeartig breite Rheinstrom gibt nachts die tagsüber gespeicherte Wärme an die Reben ab, genauso wie die dunklen Schieferböden. Dadurch entsteht ein wärmeres Mikroklima und oft ein paar Grad Oechsle mehr als in bekannten Rheingauer Lagen." Quarzit verleiht ihnen Mineralität und feine Würze, die gut eingepasst ist in die feine Zurückhaltung der frischen Fruchtaromen und des schlanken Körpers. Infolgedessen nehmen die Lorcher Weine eine Sonderstellung unter den Rheingauer Weinen ein, befindet Ottes: "Sie sind viel mineralischer, filigraner und feiner in ihrer Art, oft mit leichter Zitrusnote, während die Weine im übrigen Teil des Rheingaus ab Rüdesheim aufwärts breiter und schwerer schmecken." Terroir ist in Lorch angesagter denn je, weiß Jochen Neher: "Durch das Terroir-Projekt des Weinbauverbandes und des Landes Hessen hat der Begriff Terroir im Rheingau enorme Aktualität und schließt indirekt auch die Ersten Gewächse mit ein." Im Weingut Mohr werden nur die besten Weinberge als Lagenweine ausgebaut, die Ersten Gewächse und der Assmannshäuser Höllenberg bilden die Spitze des Betriebes. Durch die positive Berichterstattung in den Medien wurde diese Entwicklung entscheidend unterstützt. Neher wünscht sich, dass noch mehr die charakteristischen Lagenunterschiede in den Fokus gerückt werden. Oberer Rheingau: "Da für uns die geborene Qualität eine große Bedeutung hat, steht natürlich der Weinberg mit seinen Eigenschaften im Mittelpunkt", erläutert Wilhelm Weil seinen Terroir-Gedanken. Weils Kiedricher Gräfenberg gehört zu den Höhenlagen des Rheingaus. Er profitiert als Ausläufer des Taunusgebirges vom hohen Phyllitanteil im Boden. Durch die kargeren Böden wurzeln dort die Reben tief. Die Mineralität der Weine ist hoch: Durch Steigung, Exposition und gute "Erwärmbarkeit" des Bodens ist der Gräfenberg eine perfekte Rieslinglage mit der Möglichkeit langer Hängezeiten der Trauben bis weit in den November. "Diese lange Hängezeit gibt unseren Weinen ihr charakteristisches Profil und ihre eigene Identität", führt Weil aus. Das hervorragende Mikroklima des Gräfenbergs sorgt für kleine, geschmacksintensive Früchte. Die daraus gewonnenen Weine sind von hoher Mineralität und Komplexität bei gleichzeitiger Finesse und Eleganz geprägt. Stefan Breuer ist eher ein kritischer Betrachter des Modebegriffs Terroir und der Meinung, dass er etwas überbewertet wird. Boden oder Terroir sei zwar ein wichtiger Faktor beim Winzer, aber den Wein mache nach wie vor der Winzer. Aus jedem Weinberg könne man einen Terroirwein machen, sieht es der Geisenheimer zugespitzt. Ein Winzer habe verschiedene Werkzeuge, unter anderem den Boden. Und mit diesen forme er einen Wein. "Ich will damit sagen, dass das Terroir einen Beitrag zum Gelingen des Weines leistet, der Winzer und sein Können aber den größten Teil dazu beitragen." Breuer ist von den Lagenbezeichnungen abgekommen und stellt die Rebsorte in den Vordergrund. "Ich nutze das ganze Potenzial der Weinberge und stelle daraus eine perfekte Cuvée zusammen." In jedem Weinberg stecke ein gewisses Terroir, das vom Winzer einfach genutzt werden muss: "Wie er es macht, bleibt ihm selbst überlassen." Maingau: Hochheim liegt als einzige Rheingauer Weinbaugemeinde direkt am Main. Der Fluss hat dort einen nach Süden geneigten Bergkegel gebildet, der weder von Ost noch West beschattet wird. Die hohe Qualität der Hochheimer Weine lebt generell von dieser sehr warmen und windgeschützten Lage. Sie präsentieren sich trotz der hohen Dichte elegant, feinblumig und mit frischer Säure. "Hier kommt die topografische Sonderstellung von Hochheim am Main mit ihrem Mikroklima und den eher schweren Ton-, Lehm- und Lössböden zum Tragen", erklärt Emmerich Himmel. Speziell die Reben der Hochheimer Hölle profitieren vom Wasserund Nährstoffangebot. Die "Hölle" genießt Lichtreflexion und gespeicherte Wärme des Flusses. Schwere Tonböden, die sich übers Jahr erwärmen, geben ihre gespeicherte Energie langsam bis in den November hinein ab. Dadurch haben die Weinberge eine sehr lange Vegetationszeit und die Trauben außerordentliche Reife. "So hat unsere ,Hölle in ihren Weinen eine monumentale Kraft und mineralische Eleganz zugleich", erläutert Gunter Künstler die berühmte Lage. Zum Terroir im Allgemeinen befindet Künstler ganz spontan: "Die sich ständig, über die Jahre hinweg, wiederholende geschmackliche Eigenschaft eines Weinberges in Abhängigkeit von Weinjahr und Winzer." Für Himmel umfasst Terroir "die Ökologie einer Weinbergslage, also von der Bodenbeschaffenheit über Spätfrost und Nebel, Sonneneinstrahlung, Wärme- und Feuchtigkeitsspeicherung und natürlich auch die Weinbergspflege und damit vielleicht auch die Seele des Winzers." Es gelte hierbei, im Wein die Charakteristik der Traube, des Bodens und des Jahrgangs zu erhalten. Dies geschieht bei Himmels mit großer Achtung vor und im Einklang mit der Natur. "Die Ganzheit der Traube mit ihrem gesamten inhaltlichen Gefüge steht im Vordergrund und soll nicht durch unnötiges Hinzufügen und Entfernen gestört werden", schließt Annette Himmel die himmlische Sicht vom Hochheimer Wein ab. Wenn es nicht genutzt wird, weil unpassende Reben oder zu reich tragende Klone gepflanzt werden, hilft allerdings das ganze Terroir nichts. Die Feinheiten solcher Tropfen zu erkennen, das muss man sich allerdings erarbeiten.
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