Corona-Krise trifft Winzer hart
26.04.2020
Innovative Ideen wie Online-Weinproben statt Weinstand-Eröffnung und Schlemmerwochen sollen über die Krise hinweghelfen
Oestrich-Winkel. (sf) Die Corona-Krise trifft auch die Oestrich-Winkler wie alle Rheingauer Winzer hart: „Es ist für uns alle derzeit eine schwierige Zeit. Besonders die Weingüter, die viel exportieren, haben große Probleme, da der Export praktisch zum Erliegen gekommen ist. Die weitere Entwicklung wird wohl davon abhängig sein, wie lange die Ausgangsbeschränkungen aufrechterhalten werden. Die Rheingauer Schlemmerwochen sind abgesagt, sicher eine gute Entscheidung, aber dadurch fehlt schon einiges“, sagt die Vorsitzende des Hallgartener Weinbauvereines, Yvonne Bug, und hält fest, dass Unsicherheiten wegen der weiteren Veranstaltungen über das Jahr hin die Vorbereitungen erschweren. Viele Absagen gab es schön: Dies betrifft die Flötenwandertage, das Hallgartener Winzerfest und alle weiteren Veranstaltungen wie Messen, Weinproben und sogar die Wiesbadener Weinwoche.
„Wir müssen uns zunächst alle umstellen und versuchen, unser Geschäft durch Onlineverkäufe wenigstens etwas aufzufangen. Dies stellt sich aber als schwierig da, hier muss Energie in "unbekannte und ungewohnte" Medien gesteckt werden. Und trotzdem müssen die Arbeiten im Weinberg, Keller und so weiter erledigt werden.“
Auch in Hallgarten überlegt man, virtuelle Weinproben in Form von Videochats zu veranstalten, zu denen die Teilnehmer die zu verkostenden Weine vorab erhalten.
Michaela Eser spricht für die 28 aktiven Winzer im Oestricher Weinbauverein: „Wir versuchen natürlich von Vereinsseite, so viel wie möglich beratend und hilfestellend für die Mitgliedswinzer, aber auch natürlich für Nicht-Mitgliedswinzer, da zu sein. Unsere Saisoneröffnung war am 28. März mit einer Eröffnungsparty und der Band "Natürlich 3" geplant. Gott sei Dank hatten wir hierfür frühzeitig abgesagt und keine finanziellen Einbußen im Vorhinein. Natürlich werden wir es trotzdem merken, da wir in der Planung eines neuen Weinstandes sind und wir auch mit dieser Einnahmequelle gerechnet haben. Aber auch für uns Winzer und Oestricher sowie die Besucher ist es schade gewesen, da diese Auftaktveranstaltung nach dem langen Winter wieder für Geselligkeit gestanden hat. Man hat sich auf die Saison gefreut, da die Weinstanderöffnung sich in den letzten Jahren zu einem tollen Treffpunkt für Freunde, Bekannte, Oestricher und Gäste entwickelt hat. Wer weiß, wie lang das Fass geschlossen bleibt.“ Eine Eröffnung wurde aber trotzdem, wenn auch auf einem ungewohnten Weg, gefeiert: „Unter dem hashtag #Homefass haben wir einen Videochat eingerichtet, zu dem sich jeder einloggen und sich mit uns unterhalten und trinken konnte. So hat jeder bei sich zu Hause gesessen mit seinem Glas Wein und hat über Laptop oder Smartphone miteinander angestoßen. Sogar aus dem Saarland konnten wir Gäste begrüßen und es war, obwohl man „alleine" daheim gesessen hatte, ein sehr geselliger Abend. Aus Frankfurt haben sich Gäste eingeloggt, die sich sehr über diese freudige Abwechslung gefreut haben. Gern wird das auch wiederholt. So wollen wir trotz der momentanen Schließung zusammen sein.“
Nach drei wirklich unterschiedlichen Qualitätsjahrgängen hätten sich die Winzer schon auf ein "normales" Jahr gefreut. 2020 wird aber stattdessen ein schwieriges Jahr werden, schätzt Michaela Eser die Lage ein. Was die von Bund und Land geschnürten Hilfspakete betrifft, könne derzeit noch nicht gesagt werden, was man von ihnen erwarten könne.
Große Sorgen bereitet der einbrechende Umsatz, der nicht nur die Gutsschänken und Straußwirtschaften betrifft, sondern auch das Geschäft mit Hotels und Gastronomie. Selbst der Fassweinverkauf stockt, weil auch die Großkellereien Absatzprobleme haben. Das Privatkundengeschäft gehe glücklicherweise zurzeit weniger zurück. Die Bestellungen laufen nun hauptsächlich über Internet oder Telefon und den Versand zum Kunden nach Hause.
Daneben versuchen die Winzer, mit innovativen Ideen den Ausfall zu kompensieren. Ein Weg dazu ist das Internet, das man zu virtuellen Weinproben nutzt oder in dem man Weine mit einem kleinen Film auf den Social Media-Kanälen vorstellt, es wird geworben mit „Kontaktlosem Einkauf", diverse Sonderaktionen werden gestartet, damit man die Verluste einigermaßen abfangen kann.
„Wir Winzer lassen uns in jedem Fall nicht unterkriegen und machen das Beste daraus, nutzen alle Möglichkeiten, um unseren Kunden und Gästen die schwierige Zeit so angenehm wie möglich zu gestalten.“ Gefragt nach einer Prognose, wie es für die Winzer hier in Oestrich-Winkel weitergehen wird, antwortet Michaela Eser:
„Eine Prognose ist schwierig, da es sehr unterschiedliche Absatzmärkte und Betriebsmodelle unter uns Winzern gibt. Die Winzer, die sich auf den Verkauf an die Gastronomie spezialisiert haben, werden die Auswirkungen der Krise schnell spüren. Nach dem Wegfall der wichtigsten Messen, zum Beispiel der ProWein in Düsseldorf, fehlt es hier an Kundenkontakt und folglich Planungen für die Vermarktung.
Winzer, die ihre Weine über das Fass vermarkten, werden ebenfalls Defizite verzeichnen, aber meiner Meinung nach vorerst nicht so erhebliche. Diese werden eher im späteren Verlauf des Jahres zu merken sein. Jungwinzer, die sich etablieren müssen, Betriebe, die übernommen wurden oder auf neue Wege umstellen, werden auch in diesem Jahr kürzertreten müssen. Zumal hier die Rücklagen wegen der notwendigen Investitionen deutlich geringer ausfallen. Die Kosten laufen aber weiter und auch die Natur macht wegen Corona keine Pause“, weist Michaela Eser darauf hin, dass es für die Winzer reichlich Arbeit gibt. Aber sie ist auch optimistisch, was die Zeit nach Corona angeht: „Wir hoffen immer noch, dass es nach der Coronakrise ein verspätetes „Frühlingserwachen" geben wird, denn Kunden, Gäste, Besucher, alle lechzen danach, unbeschwert das Leben wieder genießen zu können. Das Loch, das uns in die Basis des Jahres 2020 gegraben worden ist, wird sich wohl nicht komplett füllen lassen. Aber wir werden es schaffen, gar keine Frage, davon bin ich überzeugt.“
Ähnlich äußert sich der Winkler Winzer Johannes Ohlig. Auch er beklagt den Wegfall der Schlemmerwochen als eine wichtige Vermarktungsplattform, zudem befürchtet er, dass den bereits abgesagten Veranstaltungen und Festen weitere folgen werden. Die Standgemeinschaft der Winkler und Mittelheimer Winzer hätte im März die Eröffnung des Weinstands an der Fähre mit Live-Musik gefeiert und als Highlight erstmals seit vielen Jahren wieder zwei Mittelheimer Weinmajestäten krönen können. Dazu war auch die Krönung eines neuen Winkler Weinmajestätenpaares vorgesehen. Dies alles wird warten müssen, genauso wie der Aufbau des Weinstands selbst, der erst aufgestellt wird, wenn eine Öffnung in Aussicht steht. Angesichts des wunderbaren Frühlingswetters wären die letzten Wochen mit dem Ostergeschäft und der Möglichkeit, nach dem Winter endlich wieder im Freien sitzen zu können, Anlass zu Optimismus gewesen, gäbe es nicht das Corona-Virus und die damit verbundenen Einschränkungen. In der Realität müssen die Winzer damit leben, dass dieser Absatzkanal, an den Probierständen und auf Festen, die nur vereinzelt weiter ins Jahr verschoben werden können, derzeit nicht genutzt werden kann. In geringem Maß wird das aufgefangen durch bessere Geschäfte mit dem Einzelhandel und Privatkunden, die ihren Wein jetzt zuhause genießen. Dafür sind auf der anderen Seite der Exportmarkt und die Geschäfte mit Gastronomie und Großhandel ebenfalls eingebrochen. Dies betrifft vor allem die größeren Betriebe, die zudem durch hohe Fixkosten für fest angestelltes Personal und die Infrastruktur zusätzliche Belastungen erfahren. Und auch Johannes Ohlig betont: „Die Kosten laufen weiter und die Natur kennt kein Corona. Die Spritzsaison beginnt und jetzt ist der Zeitpunkt, um Jungfelder anzulegen. Alles mit Kosten verbunden, denen aber nicht die erwarteten Einnahmen gegenüberstehen.“ Auf die Frage nach alternativen Vermarktungsformen nennt auch Johannes Ohlig vor allem verschiedene internetbasierte Aktivitäten, insbesondere Web-Shops zum Online-Verkauf, die auf den Homepages der Weingüter eingerichtet sind. Er verweist auf die Möglichkeit, sich kostenlos an bestehende Shops anzugliedern, wenn kein eigener Internetaufritt existiert.
Markus Bonsels vom Hallgartener Weingut Bibo-Runge berichtet von einem guten Geschäft für seinen Betrieb - solange, bis auch ihn die Krise eingeholt hat: „Die letzten Monate waren für unser Weingut hervorragend, leider ist dieser sehr positive Trend mit Anfang März komplett zum Erliegen gekommen. Alle Exportkunden, die Weinhändler und natürlicherweise die Restaurants haben nichts mehr geordert. Dies ist vor allem in der umsatzstarken Frühlingsphase sehr ungewöhnlich. Der einzige Bereich, der für uns noch gut läuft, ist der Privatverkauf. Da gehen wir auch neue Wege für uns: wir haben komplett ohne Hilfe Videos erstellt und einen eigenen Bibo-Runge-Kanal auf YouTube eingerichtet. Vielleicht ist das auch eine Anregung für die Kollegen. Was es bringt, muss man sehen.“ Nach seiner Einschätzung sind die Weingüter, die ihren Vermarktungsschwerpunkt im Geschäft mit Privatkunden und dem Lebensmitteleinzelhandel haben, noch in der besten Situation. Auch die schon länger etablierten Shops, ob virtuell oder real, liefen noch gut.
Einen Wunsch hat er, den auch Johannes Ohlig teilt: „Corona wird uns noch weitere Monate, solange bis ein Impfstoff gefunden ist, beschäftigen. Bis dahin, und das kann noch dauern, jegliches soziale Leben einzuschränken, scheint unmöglich oder zumindest schwer vorstellbar.“ Deshalb hofft er wie viele andere auch auf eine baldige Lockerung der strengen Kontaktsperre.
Indessen ist auch der Rheingauer Wienbauverband nicht untätig. Als Ersatz für die Schlemmerwochen soll das „Herbsterlebnis“, die Tage der offenen Weinkeller vom 4. bis zum 13. September, mehr Gewicht erhalten. „Wir werden die für die Schlemmerwochen und das Herbsterlebnis geplanten Marketingmaßnahmen bündeln und die Veranstaltung im Herbst mit gezielten Marketingaktionen intensiv bewerben. Ziel ist es, eine starke Strahlkraft mit hoher Werbeintensität für die Region und jeden einzelnen Teilnehmer zu erreichen.“ Zudem sollen „Themenwochen“ die Gelegenheit bieten, Weine mit Bildern und Videos online zu präsentieren.
Eines ist sicher: Wein wird es im Rheingau auch nach der Corona-Krise geben. Ob aber alles beim Alten bleibt oder die aus der Not heraus entwickelten Alternativen in der Welt des Internets auch weiterhin genutzt werden, muss man sehen. Bei allen Problemen, die durch die Infektionsgefahr aufgetreten sind, hat die Krise nicht nur im Alltag der Weingüter für einen Innovationsschub gesorgt, wie man ihn lange nicht erlebt hat. Bleibt zu hoffen, dass es den Betrieben gelingt, sich über die durch das Virus und seine Bekämpfung verursachten Probleme ohne nachhaltigen Schaden zu retten.
Ein Bericht von Sabine Fladung vom 26.04.2020.
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