Alarmstufe Rot in der Veranstaltungsbranche
27.06.2020
Kulturschaffende und Veranstaltungstechniker tauchten Schloss Vollrads und die Brentanoscheune bei Night of Light in rotes Licht
Winkel. (sf) Leuchtend rot präsentierte sich die einst als „Hölle“ bekannte Brentanoscheune am vergangenen Montagabend. Bis tief in die Nacht hinein hatte der Rheingauer Veranstaltungstechniker Stefan Geib das historische Gebäude mit dem Licht von über einem Dutzend Scheinwerfer in höllisches Rot getaucht. Die Scheinwerfer selbst hatte Geib, der vielfach Veranstaltungen in der Kulturscheune technisch betreut, wie eine Ballett-Choreografie auf dem Parkplatz ins Szene gesetzt. Aber nicht etwa, um an die Historie der heutigen Kulturstätte als ehemals stinkende Gerberscheune zu erinnern, über die Bettine von Brentano in einem Brief an die Mutter von Goethe schrieb: „Der Lohgerber gegenüber von uns durchdampft alle Wohlgerüche der Luft." Vielmehr ging es hier um ein hochaktuelles und sehr brisantes Thema: Seit Mitte März liegt die Veranstaltungswirtschaft im Zuge der Corona-Krise und dem verhängten Verbot von Großveranstaltungen, das jüngst bis Ende Oktober verlängert wurde, brach. Eine ganze Branche sieht sich arg in ihrer Existenz bedroht und hatte daher beschlossen, in der Nacht von 22. Juni auf 23. Juni, mit der bundesweiten Aktion „Night of Light“ ein Zeichen zu setzen. Firmensitze von Unternehmen und historische Gebäude, in denen Events stattfinden, wie eben die Brentanoscheune oder auch Schloß Vollrads, wurden auch im Rheingau und in Winkel rot beleuchtet.
Angesichts der strikten Abstandsregeln und Hygienevorschriften lassen sich selbst kleinere Veranstaltungen, die inzwischen wieder genehmigt sind, aktuell nicht rentabel ausrichten, erklärte auch der Veranstaltungsleiter der Rheingauer Weinbühne, Wolfgang Junglas, der in der Brentanoscheune regelmäßig Events vom Comedyabend über Lesungen bis hin zu Konzert- und Themenabenden anbietet und schon viele große Stars in die „Hölle“ geholt hat. Er hofft sehr, dass er ab September wieder kleinere Events anbieten kann, die sich aber auch nur rechnen würden, wenn die Stadt Oestrich-Winkel ihm etwa mit einem Mietnachlass entgegenkomme, wie er angeregt hat.
Nur drei Kilometer weiter lässt das Eltviller Unternehmen „Soundwave“ mit seinem in der Veranstaltungsbranche gut bekannten Technik-Team das Schloss Vollrads mit seinem historischen Wasserturm in mystischem Rot erstrahlen. Eigentlich ein tolles Event, das in dieser Nacht auch zahlreiche Besucher anzieht, die vornehmlich mit ihren Kameras angerückt sind. „Es geht vorrangig darum, auf die missliche Lage aufmerksam zu machen“, teilt das Soundwave-Team mit, das mit sechs Helfern an diesem Nachmittag schon ab 14 Uhr rund 100 LED-Scheinwerfer auf dem ganzen Gelände verteilt hat, um die Gebäude, die Bäume im Park und den Wassertrum spektakulär anzustrahlen. Doch bei aller Schönheit sollte vor allem auch der auf die Gebäude projizierte Schriftzug #nightoflight auf das eigentliche Thema der Aktion „Alarmstufe Rot“ aufmerksam machen: Bleibt die Lage unverändert, ist zu befürchten, dass eine Vielzahl von Unternehmen der Veranstaltungsbranche mangels ihrer Arbeitsgrundlage nach 100 Tagen Insolvenz anmelden müssen. Gewissermaßen fühlen sich die Betroffenen, als ob sie auf einer roten Liste stehen. Und das betrifft eine große Branche, dazu gehören unter anderem Veranstalter, Techniker, Gastronomen und Ticketverkäufer. Mit der Aktion „Night of Light“ schließen sie sich zusammen, um einen Weckruf an die Politik zu senden, der zu gemeinsamen Gesprächen und konkreter Hilfe führen soll. Zwischen 22 und 1 Uhr wurden deshalb überall von den Teilnehmern entsprechend ihre Firmengebäude, die Event-Locations und historischen Gebäude in rotes Licht getaucht. Über 7.500 Betriebe beteiligten sich und mehr als 8000 Gebäude wurden angestrahlt und machten so eindrucksvoll auf die dramatische Lage für Künstler, Veranstalter, Dienstleister und Agenturen in der Nacht vom letzten Montag auf Dienstag aufmerksam. Mit den rot beleuchteten Gebäuden richteten sie einen wahrlich flammenden Appell an die Politik, ihr zu helfen und an die Öffentlichkeit, um auf ihre Probleme aufmerksam zu machen.
Ein Bericht von Sabine Fladung vom 27.06.2020.
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