Eine Kuh, nackte Männer und schiefe Weingläser
23.10.2021
Erster Höfeflohmarkt in Oestrich-Winkel war ein riesiger Erfolg für 114 Teilnehmer und hunderte Schnäppchenjäger
Oestrich-Winkel. (sf) „Das war Mega heute! Vielen Dank an Aussteller, Besucher, Petrus für das Wetter und den Mithelfern und Kreativen. Ich bin müde und stolz. Und: das machen wir wieder.“, glücklich resümierte Ideengeberin Julia Scharf am Abend den riesigen Erfolg des ersten „Höfeflohmarktes“, den sie selbst in nur 16 Tagen organsiert hatte und der am vergangenen Sonntag hunderte Verkäufer und Käufer trotz der immer noch andauernden Corona-Pandemie und ihren Einschränkungen auf Trab brachte.
„Wollen Sie eine Kuh kaufen“, fragte Anette Schmidt im Mühlacker ihre Kunden und bot ein riesiges Plüschtier an, ihr Mann Dieter hingegen hatte witzige Weingläser mit schiefem Stil im Angebot. Nebenan verkaufte der kleine Jannik mit seiner Mama aussortierte Spielsachen. „Für uns hat es sich schon gelohnt“, erklärte Carina Muno in der Halbzeit des Flohmarktsonntages. Neben Kindersachen hatte sie auch viele Angebote für Erwachsene Schnäppchenjäger, was diese sehr zu schätzen gewusst hätten.
Wer von den 114 Teilnehmern in allen vier Stadtteilen was genau anbot, das hätten einige der Kunden im Vorfeld gerne genauer gewusst. Doch in der Kürze der Zeit habe man eine solche Liste nicht erstellen können. „Beim nächsten Mal machen wir das anders“, erklärte Organisatorin Julia Scharf und amüsierte sich ein bisschen darüber, dass die vielen Gäste wie bei „Pokemon Go“ sich immer wieder über das Handy die verschiedenen Standpunkte der teilnehmenden Höfe angeschaut und nachgegangenen waren. Denn Stefan Englert hatte eine Website für den Flohmarkt erstellt, auf der die vielen Teilnehmer in ihren Höfen und Gärten mit einem Pin auf der Stadtkarte von Oestrich-Winkel gekennzeichnet waren. Julia Scharf war überaus dankbar, dass der Hallgartener Medienspezialist Stefan Englert von sich aus angeboten hatte, sie so bei der Organisation des ersten Höfeflohmaktes zu unterstützen. Auch Yvonne Bug aus Hallgarten sei auf sie zugekommen und habe angeboten, ein Plakat für die Ortsteil übergreifende Veranstaltung zu kreieren, das dann auch überall verteilt wurde und die Flohmarkt-Standpunkte zusammen bunten Luftballons markierte.
Vor allem in der Winkeler und Mittelheimer Hauptstraße waren davon sehr viele zu sehen: fast in jedem zweiten Hof hatten die Bewohner hier Bücher, Kleidung für Babys, Kinder und Erwachsene, Gläser, Porzellan, CDs, Spielsachen, Antiquitäten, ja sogar Fahrräder, aber auch Kinderwagen oder gar mal einen Rollator angeboten. Auch ganze Haushaltsauflösungen, Kleinmöbel und allgemeinen Trödel gab es und lockte schon am frühen Sonntagmorgen auch mehrere Händler nach Oestrich-Winkel, die vielfach direkt bei Öffnung der Höfe vorstellig wurden.
Viele Kuriositäten gab es, wie das große Bild eines ansehnlichen nackten Mannes, das zwei junge Damen anboten und gleich auch den passenden pinkfarbenen BH dazu anpreisen konnten. „Wir haben tollen Schmuck gefunden“, erklärten Roda und Juana Mulz auf ihrer Tour am Sonntagnachmittag durch die Hauptstraße. Mit einem ganzen Bollerwagen voller Schnäppchen kam ein anderer Winkeler aus einem der vielen Höfe und freute sich über eine antike Keksdose für Brand-Zwieback. Auch die vielen Kinder hatten riesigen Spaß an der Premiere des Höfeflohmarkt – sowohl als durchaus gewiefte Verkäufer als auch als Kunden auf Schnäppchenjagd. Sogar erste Weihnachtsgeschenke wurden am Sonntag gekauft: „Ich habe für meinen kleinen Bruder ein Lego-Auto gekauft und für meine gro0e Schwester ein Tuch mit Sternen drauf“, erklärte die achtjährige Marie.
Nur glücklich Gesichter gab es so zu sehen und in allen Höfen freudiges Treiben, das schon ein bisschen Volksfestcharakter hatte - dabei immer ganz eng an die vorgegebenen Hygieneregeln wegen der Coronja-Pandemie angepasst. Gerade auch das Gespräch miteinander war an diesem Sonntag scheinbar genauso wichtig wie die Jagd nach Schnäppchen. „Schade, das jetzt schon um 15 Uhr Schluss sein soll. Wir finden es so schön hier und hatten erst heute Nachmittag Zeit“, meinte ein Familie und sprach damit einen weiteren Punkt an, den die Organisatorin beim nächsten Mal ändern will.
Von allen Seiten gab es aber ganz großes Lob für die Idee von Julia Scharf, die so erfolgreich eingeschlagen hatte. Viele kamen extra auch zu ihr in den Hof ihrer Familie in Mittelheim, wo auch Ehemann Andreas und ihre beiden Kinder zusammen mit dem Familienhund Gunnar fleißig Flohmarktartikel an Mann, Frau und Kind brachten. „Die Idee entstand beim morgendlichen Kaffee, mit der Frage wo ich mal all meinen ausgemisteten Kram für noch einen schmalen Taler loswerden kann. Der beliebte Flohmarkt vom Fußballverein Oestrich konnte ja aus bekannten Gründen schon zum 3. Mal nicht stattfinden. Dann habe ich in letzter Zeit immer mal wieder Aushänge bei Bäcker und Post gesehen, dass private Hausflohmärkte gemacht werden. Bei zwei Flohmärkten habe ich auch vorbeigeschaut, aber da war wenig los. Und dann fügte sich alles zusammen“, erzählte Julia Scharf von ihrer erfolgreichen Aktion. Auf Facebook warb sie für einen Hofflohmarkt bei sich zu Hause: „Das ist ja nicht schlecht, weil nicht erst großartig irgendwo hinfahren. Aber allein bringt nix, das ist für Käufer nicht attraktiv. Also muss man sich mit mehreren zusammenschließen.“ Sie hatte zuvor schon recherchiert und im Internet gesehen, dass zum Beispiel Nordenstadt im September auch eine solche Flohmarktaktion zum ersten Mal erfolgreich durchgeführt hatte. Die Recherche wurde erweitert und Julia Scharf fand heraus, dass es sich bei einem Flohmarkttag in vielen eigenen Höfen nach Gesichtspunkten der Einschränkungen wegen der Pandemie „um lauter dezentrale kleine Veranstaltungsorte handelt und wir somit nicht unter die aktuellen Veranstaltungsregelungen fallen“. Es folgte ein erstes Telefonat mit dem städtischen Ordnungsamt und eine klare Absage der Mitarbeiterin Ute Fleschner. Erst ein zweites Gespräch mit Gerhard Bönnighaus dann brachte aber den Durchbruch, denn auch er sei von der Idee begeistert gewesen. Mit ihm besprach Julia Scharf die genauen Richtlinien und bekam dann das „Okay“ vom Ordnungsamt. „Wir haben ein Hygienekonzept für die Standbetreiber erarbeitet und zur Verfügung gestellt, dass jeder an seine individuellen Vor-Ort-Begebenheiten anpassen soll. Handdesinfektion am jedem Eingang ist Voraussetzung und wir haben auch klar das Mitführen von Masken empfohlen, falls es mal zeitgleich in einem Hof etwas voller ist“, erläuterte sie und freute sich, das am Flohmarkttag sich auch wirklich alle Beteiligten daran gehalten hätten und sehr umsichtig miteinander umgegangen seien.
„Dann startete ich den ersten Aufruf in den sozialen Medien, da dies eine einfache und schnelle Verbreitung und Reaktionsmöglichkeit ergibt. Ab da war das Projekt ein echter Selbstläufer. Binnen der ersten 24 Stunden hatte ich bereits 25 Anmeldungen. Dann haben sich einige nette Menschen bei mir gemeldet, die ich nicht mal kannte, die mir Unterstützung zugesprochen haben. Innerhalb eines weiteren Tages war ein wunderbares Plakat gestaltet und EDV-Spezialist Stefan Englert hat sogar eine Webseite mit einem interaktiven Stadtplan kreiert, wo jede einzelne Adresse verzeichnet ist“, so Julia Scharf. Eine Pressemitteilung im Rheingau Echo habe die nächste Welle an Anmeldungen. Bis am Abend vor dem Flohmarkt kamen noch Anfragen, ob man teilnehmen könne und so kamen 114 Anbieter zusammen.
„Viele, auch mir völlig fremde Menschen haben Nachrichten geschrieben und die Plakate zum Aufhängen abgeholt haben, um die Veranstaltung publik zu machen“, freute sie sich über die große Beteiligung. Vor allem auch das der Höfeflohmarkt eine Veranstaltung wurde, bei der wirklich alle vier Stadtteile von Oestrich-Winkel vertreten waren, freute die Organisatorin besonders. Sogar Hallgarten beteiligte sich mit 14 Flohmarkt-Standorten.
„Manchmal muss man eben einfach machen. Wir haben jetzt mit einem Team von sechs Privatpersonen innerhalb von 16 Tagen 114 Höfe aus allen 4 Stadtteilen aktiviert. Es war vielleicht für den ein oder anderen kurzfristig, es beginnen die Herbstferien und es ist noch Weinlese im Rheingau, aber ich wollte diesen Move, den die Idee hervorgerufen hat, nicht unnötig nach hinten schieben. Nach den Herbstferien ist das Wetter unbeständiger und bis ins Frühjahr hätte ich diesen Spirit nicht hochhalten können, was ja nicht heißt, dass man die Idee nicht wiederholen kann“, so Julia Scharf. Die ersten „Learnings“ wie verlängerte Öffnungszeiten oder eine Liste mit den Angeboten vor Ort habe sie sich schon mal notiert.
Ein Bericht von Sabine Fadung vom 23.10.2021.
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