Ritter Lasse und die mittelalterliche Wacht am Rhein
17.06.2009
Hoch über dem Mittelrhein thront die Marksburg. Sie ist die einzige nie zerstörte Höhenburg am Rhein. Ihr Wert liegt vor allem in der vollständig erhaltenen mittelalterlichen Wehranlage.
150 000 Besucher pro Jahr besichtigen die Burg, die die Herren von Eppstein im 13. Jahrhundert ausgebaut haben. Ritter Lasse von Eltvil hat den Bauernjungen Guido mitgebracht, der nach seinem Willen sein Knappe werden soll.
Endlich legt unser Schiff an! Rheinkilometer 580, Braubach, 69 Kilometer den Strom hinab, zu Wasser durchs enge Tal geschlängelt - eine lange Strecke für einen Bauernjungen wie mich, der eine gute Scholle Erde unter den Füßen zu schätzen weiß. Das Ross haben wir in Eltvil zurückgelassen. Zu steil sei es für den alten Tom hinauf zur Marksburg, hatte Ritter Lasse gesagt, der mit Schwert und Hellebarde bewaffnet ist. Und nun liegt die Marksburg vor uns: prächtig, trutzig und herrschaftlich. Aber auch über uns ... steil geht es hinauf, über Eier- und Eselswiese und am End noch 120 steile Stufen hinauf, bis das wehrhafte Zugbrückentor vor uns liegt. Beim Torwächter weist sich der Ritter mit seinem Wappen aus und wir erreichen das Fuchstor. Hier empfängt Ritter Lasse den großen Schlüssel und beginnt mit seiner Führung. "Wenn du verstehen willst, wie wir Ritter leben, musst du die Marksburg kennen, die Ritterburg schlechthin!" sagt er. Wir huschen unter dem Wurferker des Vogtsturms durch: Pechnase nannten sie den Erker, weil heißes Pech auf manchen Eindringling gegossen wurde. Oder es wurden Steine und Pfeile geworfen.
Wir bleiben verschont. Nur ein paar weiße Tauben fliegen vorbei. Ein gutes Omen. Als wir die Ahnengalerie passieren, erklärt mir Lasse langatmig, wer hier alles schon gewohnt hat. Ich staune, dass andere Ritter mit ihren Harnischen zu Ross die in den gewachsenen Fels geschlagene Treppe hochreiten bis in die Kernburg. Deren Knappen bleibt es also erspart, alles zu tragen.
"Du wirst im Laufe der Besichtigung noch manche Redewendung hören, die ihren Ursprung auf einer Burg wie dieser hat!", höre ich Lasse keuchend vor mir sagen - ich sehe nur seinen erhobenen Zeigefinger. Hochmut und Besserwisserei - dieser Schuss kann nach hinten losgehen, denke ich so für mich. Woher dieser Spruch kommt, erfahre ich sogleich in der Kleinen und Großen Batterie. Dort steht eine Kammerbüchse, eine der ältesten Kanonen Deutschlands. "War die mal nicht richtig mit Pulver gestopft, ging der Schuss eben nicht zum Rhein runter, sondern verletzte die Kanoniere", erklärt Ritter Lasse. Die Kartaunen aus der napoleonischen Zeit nebenan hatten eine Reichweite von 1000 Metern. Da konnte man mit den Sechs- oder Zwölfpfündern auch Ziele auf der anderen Rheinseite ins Visier nehmen.
"Du wirst im Laufe der Besichtigung noch manche Redewendung hören, die ihren Ursprung auf einer Burg wie dieser hat!", höre ich Lasse keuchend vor mir sagen - ich sehe nur seinen erhobenen Zeigefinger. Hochmut und Besserwisserei - dieser Schuss kann nach hinten losgehen, denke ich so für mich. Woher dieser Spruch kommt, erfahre ich sogleich in der Kleinen und Großen Batterie. Dort steht eine Kammerbüchse, eine der ältesten Kanonen Deutschlands. "War die mal nicht richtig mit Pulver gestopft, ging der Schuss eben nicht zum Rhein runter, sondern verletzte die Kanoniere", erklärt Ritter Lasse. Die Kartaunen aus der napoleonischen Zeit nebenan hatten eine Reichweite von 1000 Metern. Da konnte man mit den Sechs- oder Zwölfpfündern auch Ziele auf der anderen Rheinseite ins Visier nehmen.
Mit Blick auf die Frachtschiffe unten auf dem Rhein und den Gedanken an die Köstlichkeiten, die sie geladen haben, knurrt mir der Magen. "Leg mal einen Zahn zu! Ich hab Hunger", sage ich fordernd. Ritter Lasse grinst und führt mich hinab ins Erdgeschoss, in die Burgküche. "Das sagen die Ritter auch immer zu den Köchen: Und die hängen dann den Kochtopf, den ein oder anderen Zahn an der Halterung tiefer, also näher ans Feuer ..." Einen ganzen Ochsen am Stück kann man hier grillen, so groß ist die Feuerstelle. Sogar einen Kühlschrank haben sie hier schon. Der wird mit Eis gekühlt, das im Winter geschlagen und tief unter der Burg im immer kühlen Keller bis zum Sommer vorrätig ist. Wiewohl höherer Herkunft, stellt sich Ritter Lasse mit dem Gesinde an, das gerade auf eine Metzelsuppe wartet. Als Beilage gibt es Salate und Kräuter aus dem burgeigenen Kräutergarten: Von der Alraune bis zur Zaunrübe wachsen da 150 seltene Nutz-, Heil-und Zauberpflanzen. "Burgen müssen autark sein, gerade in Zeiten der Belagerung will man ja auf keinen Fall vom Feind ausgehungert werden", erklärt Ritter Lasse. Zum Essen trinken wir Wein. "Drei bis vier Liter trinken die Ritter pro Tag!", gluckst Ritter Lasse hinter seinem Humpen hervor. Eine ganze Menge, denke ich, auch wenn der Wein nur fünf Prozent hat ...
Müde und träge vom deftigen Essen zieht sich der Ritter zurück. Von einer Dienerin wird ihm eine Kemenate angewiesen, ein "fürnem Gemach". Prächtig ausgestattet ist es und schön warm. Zum Anheizen des Kamins müssen die Diener draußen bleiben: Sie befeuern vom Gang aus. Dass das Wort Kamin von Kemenate kommt, erwähnt Ritter Lasse nur am Rande. Spannender ist die Herkunft der Redewendung "auf den Hund gekommen". In der Geschmeidetruhe mit Gold und Schmuck gibt es nämlich ganz unten noch einen kleinen eisernen Kasten, den sogenannten "Hundt". "Hat man also alles Geld und Gold ausgegeben und muss an den Notgroschen ran, ist man auf den Hundt gekommen." Ritter Lasse macht ein Gesicht, als sei ihm das schon mehr als einmal passiert. Gut, dass er hier vom Burgherrn persönlich eingeladen ist, dieser lässt Ritter Lasse von der Dienerin abholen. Mein Ritter begibt sich in den Rittersaal, stürzt sich ins höfische Leben. Hier speist er standesgemäß, nicht wie vorhin mit dem Gesinde. Das Essen wird auf einem langen Brett auf die Tafel gestellt. Haben alle zu Ende gegessen, wird die Tafel wieder aufgehoben, also wieder weggetragen. Während Lasse sich also in aller Seelenruhe den Bauch vollschlägt, zwischendrin den Aborterker benutzt, quäle ich mich mit Stopfen und Flicken seiner Sachen. Erst Stunden später ist er zurück.
"So, jetzt kommen wir zu dem Teil, Guido, der für Dich wichtig sein wird: zur Rüstkammer und - wenn du als Knappe nicht parierst - zur Folterkammer!" Ritter Lasse guckt mich durchdringend an und mir wird mulmig. Sollte ich nicht doch lieber zu meinem Vater auf den Hof zurückgehen? Zunächst steigen wir zur Rüstkammer hinab. So etwas habe ich noch nie gesehen: Zwölf lebensgroße Figuren stehen da und zeigen, wie sich die Panzerung der Kämpfer entwickelt hat, von der Römerzeit bis ins 16. Jahrhundert! "Jetzt weißt du, warum wir fast alles hoch zu Ross machen", sagt Ritter Lasse und lässt mich einen vierzig Kilogramm schweren Harnisch heben. Und jetzt weiß ich auch, wofür ein Knappe gut ist: zum Hochhieven seines Herrn nämlich und zum Schleppen ...
Zuletzt führt mich Ritter Lasse in die Folterkammer, als ob er seiner Forderung nach unbedingtem Gehorsam Nachdruck verleihen will. Der Folterknecht mit der Ledermaske zeigt uns die Quälinstrumente: mit Daumenschrauben und Streckbank sollen Geständnisse erzwungen werden, mit dem Pranger sowie den verschiedenen Masken aus Eisen werden die Missetäter öffentlich bestraft. "Meistens reicht aber schon das bloße Erklären unserer Folterinstrumente aus, um die Hexen, Diebe und Betrüger gefügig zu machen", erklärt der glatzköpfige Hüne mit einem Grinsen. Ob mich Ritter Lasse auch gefügig machen will, um als Knappe in seine Dienste zu treten? Ich fühle mich wie gerädert. Diesen Gedanken nehme ich aber schnell zurück, als ich vom Folterknecht höre, dass es sich beim Rädern um eine Hinrichtungsart handelt, bei der Räder eine zentrale Rolle spielen ... Ich nutze einen unbeobachteten Moment und stehle mich davon: Schnell husche ich über den Burghof, vorbei an allen Wachen, denen ich sage, dass ich noch schnell Sachen für meinen Herrn holen soll ... Ich habe nur einen kurzen Abschiedsblick für die Marksburg, diese prächtige Burg über Braubach. Atemlos unten am Rhein angekommen, sehe ich ein Fuhrwerk. Es bringt leere Weinfässer nach Kloster Johannisberg im Rheingau, die gefüllt wieder nach Köln zurückkehren sollen. Ich verstecke mich in einem der Fässer und überlege, vom Weinduft umnebelt, ob ich nicht vielleicht Weinbau lernen soll ...
www.rheingau.de/sehenswertes/burgen-rheintal/marksburg
VivArt Wiesbaden & Rheingau Sommerausgabe 2009
Ein Bericht von Guido Jahn vom 17.06.2009.
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