Unterstockpflege mit Schafen statt Glyphosat

08.09.2016

Weingut Allendorf geht neuen ökologischen Weg mit kleinster Schafsrasse im Wingert

Rheingau. (sf) Wilhelm ist der Chef: der kleine schwarze, gerade mal kniehohe Schafsbock trottet stolz durch die Weinbergszeilen im Goetheweinberg am Brentanohaus in Winkel. Gleich hinter ihm ist die noch etwas kleinere Jutta zu sehen: sie führt, 2009 geboren, als ältestes Schaf die kleine Herde an und da kann "Wilhelm" noch so vor seinem sieben Damen und dem kastrierten Bock umher stolzieren. "Männer eben" schmunzelt Lena Schönleber vom Weingut Allendorf in Winkel schelmisch und beobachtet zusammen mit ihrem Mann Max, mit welcher Wonne die neun kleinen Schafe in den Wingertszeilen umherstreunen und sofort mit dem beginnen, was sie hier tun sollen: die Gräser unter den Stöcken der Reben kahl fressen. "Das ist hier für die Schafe das reinste Paradies" freut sich auch der Oenologe Max Schönleber. Die kleine Ida, die knapp zweijährige Tochter des Winzerpaares, hat auch sichtlichen Spaß, streichelt die zahmen Tiere und "füttert" sie mit dem Stroh, das in dem kleinen Stall der Tiere zum Schlafen ausliegt. Selbst Karla, das gerade mal vier Monate alte Baby der Schönlebers, begrüßt die neuen Familienmitglieder im Allendorf-Clan aus ihrem Kindersitz mit einem Jauchzen. "Unsere neuen Mitarbeiter" nennt Max Schönleber die kleine Schafherde, die er in mehreren Wingerten zur Unterstockpflege einsetzen will. Seine Frau Lena war auf diese Idee gekommen, die alle rundum glücklich macht: die Kinder, weil die Schafe so flauschig und lieb sind, den Winzer, weil die Unterstockpflege mit den Schafen so einfach ist und die Natur, weil man hier völlig auf das umstrittene Unkrautmittel Glyphosat verzichten kann.

Das Ouessantschaf ist eine alte bretonische Landschafrasse, die im 19. Jahrhundert auf der nahe der bretonischen Küste im Atlantik gelegenen Insel Ouessant, aber auch auf dem bretonischen Festland vorkam. Rauhe Umweltbedingungen sowie das karge natürliche Futterangebot, sowohl auf der Insel als auch auf dem Festland, dürften erheblich zum Kleinwuchs der Rasse beigetragen haben. Bis in das späte 19. Jahrhundert werden in den historischen Überlieferungen ausschließlich schwarze Tiere auf der Insel erwähnt, wobei ihre Zahl in der Mitte des 19. Jahrhunderts annähernd 6000 Tiere betrug. Ab dem ausgehenden 19. Jahrhundert sind dann auf der Insel neben schwarzen auch weiße Ouessantschafe nachweisbar.
"Das Ouessantschaf wird auch als bretonisches Zwergschaf bezeichnet, ist die kleinste Schafsrasse der Welt und stammt von der kleinen französischen Insel Ile d'Ouessant vor der Westküste der Bretagne. Bedingt durch das dortige raue Klima und die karge Vegetation entstand eine sehr kleine, widerstandsfähige Rasse, welche auch unter schlechten Bedingungen überleben und existieren kann", erläutert auch Lena Schönleber. Rund ein Jahre lang hat sie sich mit den verschiedenen Schafsrassen, ihrer Haltung und der Möglichkeit, sie zur Stockpflege im Weinberg einzusetzen, eingehend beschäftigt. "Ich bin von Kindesbeinen ein Tierfreund", erklärte die stolze Besitzerin des 24jährigen Pferdes Cisco und des 14 Jahre alten Hundes Lotta. Schon immer habe sie sich gewünscht, auch andere Tiere zu halten und sich um sie zu kümmern. Durch einen Artikel in einer Fachzeitschrift über einen Winzer, der mit Schafen seine Weinberge pflegt, sei sie auf diese Möglichkeit aufmerksam geworden und recherchierte, welche Rasse sich dafür eigne. "So kam ich auf das Ouessantschaf", erzählt sie. Denn diese Rasse ist klein, relativ hochbeinig und hat, von oben gesehen, einen rechteckigen Körperbau. Der Kopf ist fein und regelmäßig und nur bei den Böcken geramst. Die Mutterschafe haben keine Hörner oder nur Hornstümpfe, während die Böcke ein ausgeprägtes, geschwungenes Gehörn tragen. Das Ouessantschaf hat eine sehr lang wachsende, dichte und grobe Wolle mit sehr dichter Unterwolle, das Wollvlies macht rund 10 Prozent des Körpergewichtes aus. Die Vliesfarbe ist fast immer einheitlich schwarz, braun oder weiß. Der Nutzung der schwarzen Wolle kam, entsprechend dieser vielerorts traditionellen Farbe der bretonischen Alltagskleidung, einst eine hohe Bedeutung zu. Aber auch das Fleisch der kleinen Schafe hatte einen guten Ruf, der bis weit auf das französische Festland reichte. Paul Abbe spürte in den 60er und frühen 70er Jahren des 20. Jahrhunderts die letzten Ouessantschafbestände in Frankreich auf.
Bei der GEMO in Frankreich spricht man von den "vier Stämmen": "Morbihannaise", "Venddienne", "Botanischer Garten in Paris" und "Nord". Die beiden zuletzt genannten hatten trotz ihrer geringen Tierzahl einen nicht unerheblichen Einfluß auf die heutige Population. Die Böcke aus dem botanischen Garten verfügten über ausgesprochen schöne Hörner, was sie zu beliebten Zuchtböcken machte. Alle brauen Schafe scheinen auf den Stamm Nord zurück zugehen.

Die heutigen Ouessantschafe haben bis jetzt keine wirtschaftliche Bedeutung und werden nur aus Liebhaberei gehalten, denn ihre Haltung ist ziemlich einfach: "Aufgrund seines kleinen Formates und eines nur sehr geringen Futterbedarfs können die Schafe ganzjährig auf einer kleinen Wiese gehalten werden. Als Wetterschutz genügt eine kleine Hütte oder eine dreiseitige geschlossene Überdachung. Darum ein fest eingezäunter Auslauf, um ein eventuell notwendiges Einsperren der Schafe einfacher zu machen, das wird von den Schafen gut toleriert. Wichtig sind frisches Wasser und ein Mineralleckstein für Schafe. Auch Heu muss ganzjährig angeboten werden. Die Schur der Schafe erfolgt Ende Mai bis Mitte Juni. Die Tiere sollten schon angefangen haben ihr Flies abzustoßen und neues Flies zu bilden. Die Schafe müssen für die Schur trocken sein. Die Klauen werden ein bis zweimal geschnitten, geeignet dafür ist auch eine Haushaltsschere oder ein Teppichmesser. Die Tiere sollten auch ein bis zweimal im Jahr gegen Endo- und Ektro-Parasiten behandelt werden, hierfür gibt es geeignete Mittel, die über den Tierarzt bezogen werden können", empfehlen die beiden Züchter im Saarland und im Schwabenland, bei denen die Familie Allendorf die Schafe gekauft hat. Ganz bewusst habe man auch einen Bock mit in die Herde genommen, der sich mit den sieben weiblichen Schafen auch vergnügen darf, denn auch die Zucht der kleinen Schafe ist eher einfach und vielleicht macht die Idee der Unterstockpflege durch Ouessantschafe ja in Winzerkreisen die Runde, sodass Nachwuchs gebraucht wird. "Die Brunftsaison der Ouessantschafe dauert von September bis Anfang Januar. Die Böcke können aus diesem Grund das ganze Jahr bei den Muttertieren bleiben. Gewöhnlich bringt das Muttertier ein Lamm zur Welt, Zwillinge sind selten. Geburtsprobleme gibt es kaum, aber natürlich wird eine regelmäßige Kontrolle der ablammenden Tiere trotzdem erfolgen", erklärt Lena Schönleber.

Über die Internet-Seite oussant.de hatte Lena Schönleber alles über die Schafsrasse und die Züchter in Deutschland gefunden. "In Neuseeland werden Schafe schon seit vielen Jahren für die Weinbergspflege eingesetzt. Am Anfang war das wohl ein Versehen: die ersten Schafe waren dem Schäfer in einen neuseeländischen Weinberg abgerückt", erzählt Lena Schönleber. Auch ihren Mann Max und Schwiegervater Josef Schönleber konnte sie mit ihrer Idee schnell begeistern, vor allem, als sie über die guten Erfolge des Winzerkollegen in Volkach berichten konnte, der die Schafe schon länger im Weinberg einsetzt. Nach der Zusage der beiden Winzer, den Versuch zu wagen, machte sich Lena voller Begeisterung auf die Suche nach Züchtern. "Die Auen, so nennt man die weiblichen Schafe, kosten so zwischen 75 und 145 Euro, die Böckchen rund 50 bis 150 Euro", erläutert sie. Gemeinsam mit Ehemann Max zog sie in den letzten Wochen los, um eine Herde zusammen zu stellen. "Ihr Hauptquartier haben die Schafe bei uns an der Halle im Märzackerweg", erzählt sie. Dort wohnt die junge Familie auch und kann sich täglich um die Schafe kümmern. Doch natürlich sollen die Schafe ja im Weingut Allendorf auch etwas "arbeiten". Deshalb wurden sie jetzt erstmals in den Weinberg am Brentanohaus gebracht und siehe da: die neuen Mitarbeiter sind sehr fleißig. Lange können die Schafe jedoch nicht mehr in den Wingert: "Sobald der Zucker in die Trauben einschießt, müssen sie zu Hause bleiben, denn sonst fressen sie die Trauben", erklärt Max Schönleber. Das wäre nicht nur für den Winzer ein Verlust, die Schafe würden das Obst auch nicht vertragen.

Die Wintermonate sollen auch für erste Zuchtversuche genutzt werden: "Vielleicht springen dann schon zu Ostern kleine, süße Lämmer über die Wiese", freut sich Lena Schönleber. Und ab dem nächsten Frühjahr soll es dann richtig losgehen mit der Unterstockpflege durch die Schafe Wilhelm, Jutta, Isolde, Annabelle, Jens, Aphrodite, Gertrud, Valerie und Iris. So heißen die neuen Mitarbeiter im Weingut Allendorf nämlich. In den Weinbergen im Hasensprung und im Jesuitengarten sollen die Schafe vor allem durch die alten, schmalen Anlagen getrieben werden, in denen die Winzer schwer mit Maschinen arbeiten können. Auch für Steillagen würde sich eine solche natürliche und noch dazu tourismusfördernde Möglichkeit der Weinbergspflege eignen. Um die Schafe in die richtigen Wingertszeilen zu führen und unliebsame Besucher abzuhalten, werden die jeweils zu bearbeiteten Flächen mit einem Elektrozaun abgesteckt, der bei Bedarf dann immer wieder überall eingesetzt werden kann. Die Schafe selbst werden in einem kleinen Hänger zu ihrem jeweiligen "Arbeitsplatz" transportiert, der mit Stroh gefüllt, auch als Unterstellmöglichkeit am jeweiligen Weinberg dient.

Ein Bericht von Sabine Fladung vom 08.09.2016.

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