High Fidelity-Vorführung für das Plattenstübchen
11.08.2017
Erster Open-Air-Kinospaß vor dem Dom hatte Benefiz-Charakter
Geisenheim. (sf) "Wenn das Leben zu hart zu einem ist, muss man die Plattensammlung umsortieren: biografisch. Die Plattensammlung und die Musik sind das Problem und die Kompensation und die Therapie und am Ende vielleicht doch nur das Symptom. Der Umgang mit der Musik und mit dem Leben, aus Männersicht mit den Frauen, gleichen sich irgendwie, nur dass die Musik nicht widerspricht", mit diesem überaus passenden Zitat von Filmkritiker Ekkehard Knörrer entließ der Initiator des Sommerkino Hessen, Erwin Heberling vom Filmbüro Hessen, die Gäste auf dem Geisenheimer Domplatz am Freitagabend in einen ganz besonderen Kinospaß. Denn der Film "High Fidelity" spielte nicht nur einem Plattenladen und erzählte die tragisch-komische Geschichte des Musikfans Rob Gordon, dargestellt von John Cusack, und seiner Beziehungen zu Frauen, er war auch der absolut passende Film für den guten Zweck des Abends: der gesamte Erlös dieses Open-Air-Kinoabends kommt dem Wiederaufbau des am 3. Mai durch einen Brand zerstörten Geisenheimer Kultladens "Plattenstübchen" zu Gute.
"Eigentlich hätten wir in diesem Jahr am 11.11. unser 40jähriges Bestehen feiern wollen, es war uns nicht vergönnt, unser Lebenswerk wurde am 3. Mai durch ein Feuer zerstört", erklärten Alex Markgraf und seine Frau Linda im Rahmen des Kinoabends vor den Zuschauern. Schon während der Löscharbeiten und trotz des Schocks damals in der Brandnacht hatte das Ehepaar beschlossen, das Plattenstübchen, das für Generationen von Rheingauern der Inbegriff ihrer musikalischen Jugend ist, wieder aufzubauen. "Ich habe in meiner Schulzeit jede Freistunde im Plattenstübchen verbracht", erzählte eine 52jährige Winkelerin. "Alle Eintrittskarten für so legendäre Konzert wie Queen auf dem Maimarkt in Mannheim, Jethro Tull oder Dire Straits in der Frankfurter Festhalle habe ich dort gekauft, die Karten habe ich heute noch". Für viele ist eine Geisenheimer Innenstadt ohne das Plattenstübchen unvorstellbar. Deshalb ist die Hilfsbereitschaft, das Traditionsgeschäft wieder aufzubauen auch riesengroß: "Aus ganz Deutschland bekommen wir Anrufe und Nachrichten, uns Plattensammlungen zur Verfügung zu stellen", erzählt Linda Markgraf. Gerade hatte sie einen Anruf von einem Mann aus Berlin, dessen Bruder tragisch ums Leben kam und der eine besonders wertvolle Plattensammlung habe, die er dem Plattenstübchen schenken will. "Noch können wir die Platten nicht annehmen, weil wir keine Lagerkapazität haben, aber wir freuen uns natürlich sehr über die Hilfsbereitschaft", erklärt Alex Markgraf. Er will warten, bis das Plattenstübchen fast komplett wieder aufgebaut ist und dann die angebotenen Plattensammlungen annehmen und durcharbeiten. "Geplant ist vielleicht ein "Cafè Klang", eine Art kleines Cafè mit Plattenstübchen, in das sich auch unserer Töchter einbringen würden", erklärt seine Frau. Stolz verkündete Alexa Markgraf dann auch beim Kinoabend, das am Montag die Abrissarbeiten beginnen würden. "Die Firma Haber wird die Innenwände niederreißen und den Schutt beseitigen". Danach würden behutsam die Wiederaufarbeiten des historischen Fachwerkhauses beginnen. In diesem Jahr bekomme das Haus noch ein Notdach, mit der Gesamtfertigstellung rechnet Alex Markgraf allerdings erst in zweieinhalb bis drei Jahren.
Sein besonderer Dank ging an alle Unterstützer und hier vor allem eben auch an die Geisenheimer Gewerbetreibenden der GAG, an das Geisenheimer Kino und an den Kinosommer Hessen mit seinen Sponsoren. An der Spitze nannte Alex Markgraf den Inhaber des Café am Dom, Marcus Pretzel, den Betriebsleiter des Geisenheimer Kinos, Werner Thorn, und Erwin Heberling vom Kinosommer Hessen. Man habe sich unmittelbar nach dem Brand des Plattenstübchens im Frühjahr getroffen, um das Programm für die beiden Open-Air-Kinotage in Geisenheim zu planen, erzählten die drei Initiatoren des Benefizabends. "Da war es klar, dass wir etwas für das Plattenstübchen machen müssen", erklärten sie weiter. Und nicht nur, dass der Erlös des Abends dem Wiederaufbau dienen soll, auch der gezeigte Film selbst sollte etwas mit Musik zu tun haben. Mit "High Fidelity" fand man genau die passende Geschichte. High Fidelity ist eine Filmkomödie basierend auf dem gleichnamigen Buch von Nick Hornby. Plattenladenbesitzer Rob Gordon erzählt im Monolog direkt in die Kamera an den Zuschauer gewandt seine Lebens- und vor allem Liebesgeschichte. Humorvoll resümiert er seine "Top Five in die Brüche gegangener Beziehungen" angesichts seiner gerade beendeten Beziehung mit Laura, einer wohlsituierten Rechtsanwältin. Während seines Rückblickes arbeitet er wie üblich in seinem Plattenladen und wohnt den ewigen Eskapaden seiner beiden Kumpane und Angestellten Dick und Barry bei, zwei vollkommen gegensätzliche Charaktere. Während es sich bei Dick um einen verschüchterten, stillen Menschen handelt, ist Barry ein selbstgerechter Choleriker. Das Trio verbindet jedoch ihre Liebe zur Musik. Dennoch läuft der Plattenladen schlecht und Rob ist von seinen Lebensumständen und seinem Liebesleben zunehmend genervt. Einziger Lichtblick ist erst einmal die Bekanntschaft mit der Sängerin Marie de Salle. Tatsächlich hängt Rob mit seinem Herzen aber nach wie vor an Laura, erfährt aber, dass sie eine neue Beziehung hat. Rob entschließt sich, seine Top-Five-Verflossenen nochmals aufzusuchen, um die Ursachen seines Unglücks zu ergründen. Dabei stellt er fest, dass diese Frauen ihm nichts mehr bedeuten und nur noch Laura für ihn zählt. Nachdem Laura sich von ihrem neuen Freund getrennt hat und ihr Vater gestorben ist, kommen Rob und Laura tatsächlich wieder zusammen.
Die Gäste genossen dann auch den Kinospaß für einen guten Zweck aus vollen Zügen. Nur zu gerne nahm man das Angebot an und versorgte sich mit gutem Rheingauer Wein und passenden Snacks, hatte Kissen und Decken mitgebracht und machte es sich bei angenehmen Temperaturen und trockenem Wetter so richtig gemütlich vor dem Dom. Auf der 10 mal 6 Meter großen, aufblasbaren Leinwand kam der Film mit John Cusack in der Hauptrolle so richtig gut rüber und die Musik aus den 60er, 70er und 80er Jahren ließ so manche Erinnerungen an die eigene Jugend und die damals obligatorischen Besuche im Plattenstübchen aufkommen.
Seit 16 Jahren schon veranstaltet Erwin Heberling vom Film- und Kinobüro Hessen den "Kino Sommer Hessen" und zeigt bekannte und erfolgreiche Kinofilme an legendären Schauplätzen, in Schlosshöfen, Parks, Strandbars und auf Marktplätzen. Die Freiluftkinoaktionen sind überall sehr erfolgreich, vor allem in so lauen Sommernächten, wie es sie dieses Jahr manchmal gibt. Das nächtliche Ambiente des historischen Domplatzes in Geisenheim mit dem altehrwürdigen Rheingauer Dom und seinen frisch sanierten Doppeltürmen hatte es auch Heberling angetan. "Das ist der Idealfall hier", sagte er und freute sich, auch mit Schloß Johannisberg in diesem Jahr einen neuen Platz für das Sommerkino gefunden zu haben. Hier wird in zwei Wochen, am 12. August, unter dem Motto "Finnland meets Rheingau" der mit dem Silbernen Bären bei der Berlinale 2017 ausgezeichnete Film "Die andere Seite der Hoffnung" gezeigt. "Zusammen mit finnischer Live-Musik im Vorprogramm wird das zu einem ganz besonderen Highlight im Kinosommer Hessen 2017", so Heberling.
Ein Bericht von Sabine Fladung vom 11.08.2017.
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