Fast 3000 Rheingauern auf die Welt geholfen
25.01.2023
Hebamme Hildegard Rathke feierte ihren 90. Geburtstag mit großer Gratulantenschar
Rheingau. (sf) Wenn jeder Rheingauer, der mit ihrer Hilfe das Licht der Welt erblickt hat, ihr zum 90. Geburtstag eine Karte geschickt hätte, hätte Hildegard Rathke vermutlich aus ihrer kleinen Wohnung ausziehen müssen: fast 3000 Babys hat sie in ihren vielen Berufsjahren als Hebamme auf dem Weg ins Leben geholfen und ebenso vielen werdenden jungen Mütter in der Zeit der Schwangerschaft und als Wöchnerin mit vielen wertvollen Tipps in Geburtsvorbereitungskursen, ihrer ruhigen, bedächtigen Art bei Einzelbetreuungen nach der Geburt zu Hause und unendlich viel Erfahrung im Umgang mit Neugeborenen und ihren Eltern geholfen.
Vor einigen Wochen feierte die im Rheingau weithin bekannte Hebamme Hildegard Rathke ihren 90. Geburtstag. Ein Anlass für die Zeitzeugin, auf ihr bewegtes Leben zurückzublicken, das für sie auch viele Schicksalsschläge mit sich brachte, die sie alle mit ihrer Besonnenheit meisterte.
In bester Erinnerung ist ihr die Kindheit im Dorf: „Wir lebten in einem idyllischen Dorf am schönen Rhein mit Blick auf die Berge gegenüber, inmitten von Gärten, Feldern und Weinbergen - keine Autos gab es. Die Straßen und Wege gehörten uns Kindern. Auf ihnen spielte sich der größte Teil des Tages ab, mit wunderbaren Erlebnissen, die uns geprägt und geformt haben. Es war alles ganz einfach, heute würde man sagen „ärmlich" - aber wir waren reich. Straßen, Gärten und Felder, die Großmütter, die Scheunen und Speicher, wo es immer etwas zu entdecken gab - alles gehörte uns. Und wir hatten eine reiche Fantasie, mit der wir unser Spielzeug selber schufen. Aus leere Dippcher, Lehm, Rebe, Obstkerne und Hagebutten wurden tolle Verkaufsstände gezaubert mit breitem Angebot: Brot, Brötchen, Torten aus Brabbes, Krimmerkuche un Merbscher. Der Sonntag war heilig. Samstags is die Gass gekehrt worre, damit die Mutter am Sonntag Zeit hat für die Kerch. Ich erinnere mich auch, dass es für die Kerch die Sonntagsschuh gab, sauber und blitzblank - un uff em Kopp en weiße Schlopp. Das Leben um den Kirchturm war auch sehr vielseitig. Alle vier Jahre kam der Bischof zur Firmung. Ein Bischof hatte früher immer seine Schulferien bei Onkel und Tante Fendel verbracht und war deshalb bei seinen Alterskameraden bekannt. Er wurde mit den Worten begrüßt: „Leck mich am Arsch, bischt du de Bischof?". Und als mit den Kindern der Kreuzweg zur Erstkommunion gebetet wurde, sagte er an der Stelle „Und Jesus fällt zum zweiten Male" - Do leire jo schon were." In Kiedrich war man beim Besuch des Bischofs sehr besorgt, wo der aufs Klo gehen könne, denn es gab nur ein Plumpsklo neben dem Misthaufen. Aber die cleveren Rheingauer finden für jedes Problem eine Lösung: Sie stellten einen Nachtstuhl in die gut Stubb un rechts und links devun zwa Kerze“.
Wenn sie zurückschaue, wundere sie sich, wie viele unzählige Erlebnisse und Erfahrungen hineingepackt seien in dieses Leben: „So unsagbar Vielseitiges. In der Erinnerung schaue ich in mein Kaleidoskop, ich drehe und sehe bizarre Formen, die sich bilden und wieder zerfließen, und viele Farben, die zusammengefügt sich dauernd verändern. Alles ist in Bewegung, immer wieder neu, überraschend und trotz aller Unruhe auch ein harmonisches Gefüge, das sich nie ganz verliert“; sagt die 90jährige über ihr Leben. „Das kleine Mädchen aus dem Rheingauer Dorf“ habe schließlich in London den Beruf der Krankenschwester gelernt und sei dann später viel in Deutschland und der Welt herumgekommen, habe aber immer Heimweh nach seinem Dorf gehabt. Zurück im Rheingau wurde sie hier zur vielgeschätzten Hebamme.
Jetzt am Lebensabend stehe über all dem aber vor allem die Erkenntnis, immer nur Stufe um zu Stufe nehmen, und dass es doch ein Kreislauf sei, „der nicht Anfang noch Ende habe, sondern immer wieder zurückführe zu allem Durchlebten!“, so die langjährige Hebamme. „Im „Auf und Ab“ sind wir auch anders geworden und doch die Gleichen geblieben!“, sagt Hildegard Rathke, die sich über die vielen Grüße und guten Wünsche zu ihrem 90. Geburtstag sehr gefreut hatte. Nicht nur Bürgermeister Christian Aßmann habe ihr Herz erfreut, als er die Glückwünsche der Stadt Geisenheim überbrachte, in der Hildegard Rathke jetzt ihren Lebensabend verbringt, erläuterte die „Ur-Rüdesheimern“, auch viele Freunde und Wegbegleiter gehörten zu der großen Gratulantenschar, in deren Mitte die Jubilarin ihren Geburtstag feierte.
Ein Bericht von Sabine Fladung vom 25.01.2023.
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