Den Raum für die eigenen Gefühle gegeben
20.10.2024
Lindentheater Geisenheim zeigte Katharina Kösters preisgekrönten Dokumentarfilm „Jenseits der Schuld“
Geisenheim. (sf) Ulla und Didi Högel haben sich alle Mühe gegeben haben, ihren Sohn mit Liebe und Vernunft zu erziehen. Nichts in ihrem Familienleben deutete darauf hin, dass ihr Sohn eines Tages zu einem Serienmörder werden würde. Niels Högel hat als Krankenpfleger vermutlich hunderte Menschen umgebracht, verurteilt wurde er für 87 Morde. Damit ist er der größte Serienmörder der deutschen Nachkriegsgeschichte. Doch nicht seine, sondern die Geschichte seiner Eltern stand im Mittelpunkt des aufwühlenden Dokumentarfilmes, der vergangenen Montagnachmittag im Geisenheimer Lindentheater gezeigt wurde. Der preisgekrönte Film ist zurzeit auf Deutschlandtournee in ausgewählten Kinos und wurde vor allem auch deshalb im Rheingau gezeigt, weil er von der aus Erbach stammenden Drehbuchautorin und Regisseurin Katharina Köster gemacht wurde. Die Filmemacherin, die mit Mann und Kindern heute in München lebt und hier auch gerade erst durch die Neuauflage der Kultserie „Pumuckl“ Furore gemacht hat, stellte höchstpersönlich in ihrer Heimat, dem Rheingau, ihren preisgekrönten Dokumentarfilm „Jenseits von Schuld“ vor und freute sich sehr, dass die im Lindentheater Geisenheim für einen Montagnachmittag überraschend gut besucht war, selbst das Kinopersonal war ganz erstaunt. Schon während der Film lief, war die konzentrierte Atmosphäre greifbar. Nach der Vorstellung stellte sich Katharina Köster dem Publikum vor der Leinwand und nach einem kurzen Moment gab es von spürbar gefangenem und berührtem Publikum auch Applaus.
Die Filmemacherin erzählte dem Publikum im Kino wie es zur Entstehung des Dokumentarfilmes „Jenseits von Schuld“ kam, der schon Premiere im Mai in München auf dem „DOK.fest“ trotz des schweren Themas auf Anhieb den Publikumspreis gewonnen hatte: „Meine Coregisseurin und Freundin Katrin Nemec und ich hatte nicht etwa den großen Fall Niels Högel im Kopf, über den wir einen Film machen wollten, sondern uns ein Thema interessiert hat: Was macht es mit Eltern und Elternliebe, wenn das Kind eine so schwere Schuld auf sich lädt, dass man sie nicht verzeihen kann? Wir haben viele Seelsorger, Gefängnisse, Anwälte, Selbsthilfegruppen angeschrieben, bis wir schließlich an die Anwältin von Niels Högel gelangten, die unser Thema gut fand, weil sie das Schicksal von Eltern kennt, deren Kind zum Täter wird: In so einem Fall gibt es keine Hilfsorganisationen, keine Krisenintervention oder Selbsthilfegruppen, die sich um Eltern kümmern, sie müssen allein mit ihrem Schicksal fertig werden. Die Anwältin hat uns den Kontakt zum Täter hergestellt, dem wir in einem Brief offen erzählt haben, dass wir einen Film machen wollen, in dem es um seine Eltern geht und darum, was er ihnen angetan hat und dass er selbst keine Plattform kriegen soll. Das hat er verstanden und einen Brief von uns an seine Eltern weitergeleitet. Das Vertrauen der Eltern zu gewinnen hat dann aber noch mal rund zwei Jahre gedauert!“. Ein Zuschauer im Geisenheimer Lindentheater meinte dann auch, dass es wirklich erstaunlich sei, wie die beiden Filmemacherinnen es geschafft hätten, eine solche Nähe aufzubauen und dass die Eltern sie für den Dokumentarfilm so sehr in ihr Leben gelassen haben. „Haben sie im Vorfeld den Film gesehen?“, wollte er wissen. Eine andere Zuschauerin meinte, dass sie selbst Probleme damit gehabt hätte, sich auch in so ungeschminkten und nahen Momenten zu zeigen. „Wir haben ihnen den Film vorab gezeigt und wir hätten, wenn sie mit irgendeiner Stelle ein Problem gehabt hätten, das natürlich geändert. Aber nachdem die Eltern sich einmal entschieden hatten, mitzumachen, wollten sie es auch bedingungslos tun, sich ganz und gar zeigen, mit allen Verletzlichkeiten und auch in weniger schönen Momenten, die aber zu ihrem Leben dazugehören. Sie waren mit dem Film ganz einverstanden und haben sich gut dargestellt gefühlt. Schön war auch, dass sie als Paar durch den Film viel übereinander erfahren haben, weil sie vieles so noch nie vom anderen gehört hatten. Das hat sie auch in ihrer Beziehung weitergebracht.“, erklärte Katharina Köster dazu.
Zusammen mit ihrer Kollegin, der Autorin und Regisseurin Katrin Nemec interessiert sich die Filmemacherin Katharina Köster immer wieder für Themen, bei denen sie an die Grenzen der eigenen moralischen Vorstellungskraft stoßen: „Themen, die uns fordern, uns einzulassen und neu zu denken. Sich auf den Gedanken einzulassen, dass das eigene Kind zum Mörder werden könnte, ist so ein Thema. Man ist immer bestrebt, alles in Gut und Böse einzuordnen. Keine Einordnung treffen zu können, macht uns unruhig und orientierungslos, wir wissen nicht, wie wir unsere moralischen Maßstäbe definieren sollen. Es nimmt uns Sicherheit. Spätestens seitdem wir selbst Mütter sind und alles für das Glück unserer Kinder tun wollen, fragen wir uns, ob sie uns nicht auch entgleiten könnten. Wären wir dadurch, dass wir sie erzogen haben, automatisch mit schuld? Wie ist das mit Eltern, deren Kind zu einem Mörder wird – haben sie jedes Recht auf Verständnis und einen respektvollen Umgang verloren? Darf ihr intimstes Familienleben schamlos von der Presse ausgeleuchtet werden?
Sie dürfen nicht trauern, sie haben kein Anrecht auf Mitgefühl und Hilfe. Eigentlich haben sie auf furchtbare und vielfältige Weise einen Menschen verloren. Der Täter darf nicht mehr der liebenswerte Sohn sein, der er auch war. Alle positiven Attribute gelten für ihn nicht mehr. Das wirkt hinein in die Identität der Familie und formt sie nachträglich um: Der Sohn ist ein Mörder und deshalb waren sie keine glückliche Familie. Dabei hat ihre Geschichte anders begonnen: Sie haben ein Kind bekommen und wollten, dass es glücklich und ein wertvolles Mitglied der Gesellschaft wird!“.
Gefragt wurde auch, ob das im Film wirklich die echte Wohnung des Paares gewesen sei, die man gesehen habe, weil er sich nicht vorstellen konnte, dass man ein Filmteam so nah in sein Leben hineinlässt. „Ja, es ist ihre Wohnung. Wir haben als kleines Team gearbeitet, oft nur zu viert und haben den ganzen Tag mit ihnen verbracht und manchmal dann die Kamera eingeschaltet. In schwierigen Momenten, wo wir zum Beispiel einmal einen Zusammenbruch der Mutter gefilmt hatten, sind wir nach dem Dreh auch so lang bei ihnen geblieben, bis wir das wieder miteinander aufgearbeitet hatten und es ihr besser ging. Was das Vertrauen angeht, war auch die Rolle des Kameramanns entscheidend, der ja das Gefühl brauchte, wie nah er mit der Kamera an sie herangehen kann und wann sie etwas Platz brauchen. In dem Moment des Zusammenbruchs könnte man sich fragen, ob es richtig war, die Kamera anzulassen. Tatsächlich hätte Ulla aber, wie sie in anderen Momenten auch getan hat, einfach den Raum verlassen können. Sie hat aber entschieden, sich aufs Sofa im Bild zu setzen und hat also mitentschieden, dass wir auch diese Seite von ihr sehen!“, erzählte die Filmemacherin. Das Publikum im Lindentheater war sich einig, wie ungewöhnlich und eindrucksvoll es sei, in diesem Dokumentarfilm diesen völlig vernachlässigten Blickwinkel von Eltern eines Täters zu sehen: „Das wird ja normalerweise nie gezeigt. Man fängt auch an, über vieles nachzudenken, vor allem, wenn man selbst Eltern ist und Kinder hat und dann sieht, wie so ein liebenswertes Paar in so eine Situation gerät. Man denkt über seine eigenen Vorurteile nach!“.
In dem Film wurde auch Dias der Familie aus den Kindertagen von Niels Högel gezeigt, die durchaus dokumentierten, was für ein nettes und normales Kind Ulla und Didi gehabt hatten.
Eine Zuschauerin fand es sehr spannend, dass die Mutter sich selbst einmal fragt „Habe ich ihm vielleicht zu wenig Aufmerksamkeit gegeben? Oder zu viel?“. Sie selbst als Mutter eines Einzelkindes frage sich das oft und man sehe so daran, dass einfach beides schwierig sein kann und dass es total schwierig ist, alles richtig zu machen.
Wie denn das Umfeld des Paares auf die Taten reagiert habe, fragten die Zuschauer und Katharina Köster verwies auf die Stelle im Film, in der der Vater sagt „Ich bin nie drauf angesprochen worden. Aber hinter meinem Rücken, da werden sie schon geredet haben“. „Das empfinde ich selbst immer als eine furchtbare Vorstellung, dass hinter meinem Rücken über mich gesprochen wird. Es ist wie bei einem Trauerfall, wo Leute die Straßenseite wechseln, weil sie nicht wissen, wie man denjenigen ansprechen soll. Der Film wird in der Hinsicht einiges ändern für die Eltern, denn schon jetzt haben Nachbarn und auch Freunde ihn gesehen und werden sie nun direkter ansprechen. Wir hoffen, dass dadurch ein Austausch entsteht und der auch etwas Versöhnliches haben kann!“.
Die Zuschauer wollten auch wissen, ob auch die Angehörige von Opfern den Film gesehen haben. „In dem Moment, wo wir wussten, dass wir einen so großen Fall im Film behandeln werden, wo es so eine große Anzahl an Angehörigen von Opfern gibt, war uns klar, dass wir da sehr sensibel sein wollen. Es gab einfach schon viel Berichterstattung und Sendungen über den Täter, die die Angehörigen kalt erwischt haben. Wir als Filmemacherinnen haben die Kriminalitäts-Opferhilfsorganisation „Weisser Ring“ kontaktiert und darüber und weitere Verteiler versucht, möglichst viele Angehörige über einen Brief zu erreichen und in wenigen Worten möglichst sensibel zu informieren, dass wir diesen Film machen und dass der Täter darin keine Plattform kriegen wird und dass sie sich bei Fragen jederzeit an uns wenden können. Außerdem haben wir dann vor der Veröffentlichung des Films eine Vorführung für Angehörige veranstaltet, die im geschützten Rahmen stattfand und vom „Weissen Ring“ begleitet wurde. Tatsächlich gibt es viel Mitgefühl mit den Eltern, auch wenn natürlich bei jedem Bild der Eltern der Gedanke mitschwingt, dass der eigene Angehörige das nun nicht mehr erleben kann. Es war wichtig, den Raum für die eigenen Gefühle zu geben.“, erklärte Katharina Köster.
Das Publikum bestätigte ihr dann auch, dass die beiden Filmemacherinnen in der Dokumentation wirklich respektvoll mit dem Paar umgegangen seien und wie beeindruckend es war, dass die Regisseurinnen mit dem Fokus so ganz bei den Eltern geblieben sind, ohne andere Seiten zu beleuchten. „Dieser Film hätte es in der Finanzierung sicher leichter gehabt hätte, wenn wir den Täter in Fokus genommen hätten. Doch es braucht mutige Redaktionen wie das „Kleine Fernsehspiel“ braucht, damit solche Filme entstehen können!“, sagte Katharina Köster. Das eindrucksvolle Filmprojekt der beiden Frauen wurde mittlerweile in vielen Kinos in ganz Deutschland gezeigt und auch Film in der Sparte „Semaine de la Critique“ lief der Film auf dem Filmfest in Locarno als einer von sieben internationalen Dokumentarfilmen. „Das war eine riesige Ehre, auf so einem großen Festival war ich noch nie. Wir hatten bei der ersten Vorstellung über 700 Zuschauer, bei der zweiten morgens um neun immer noch knapp 600 - das war echt unglaublich!“, so die aus Erbach stammende Filmemacherin. Seit Mitte September ist der Film in ausgewählten Kinos zu sehen. Doch überall, wo er zu sehen ist, stößt „Jenseits von Schuld“ auf großes Interesse. Katharina Köster und Katrin Nemec begleiten auch die Kinotour und bieten immer wieder auch ein anschließendes Gespräch an, „denn es gibt wirklich einen sehr großen Gesprächsbedarf nach dem Film“.
Kathrin Nemec, Jahrgang 1980, absolvierte von 2000 bis 2005 ein Magisterstudium der Theaterwissenschaft, Neuere Deutsche Literaturwissenschaft und Soziologie an der LMU München. Anschließend folgte das Studium der Dokumentarfilmregie und Fernsehpublizistik an der Hochschule für Fernsehen und Film München. Ihr Abschlussfilm „Vom Lieben und Sterben“ wurde mit dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet und war für den Deutschen Dokumentarfilmpreis sowie den Studio Hamburg Nachwuchspreis nominiert. Katrin lebt und arbeitet als Regisseurin in München.
Katharina Köster ist auch eine der Autorinnen der neuen Pumuckl-Folgen, die ein Millionenpublikum begeistern. 1984 in Wiesbaden geboren, hatte die Oestrich-Winkelerin schon in der Grundschule mit einer Freundin kleine Gedichtbände verfasst. „Später war ich manchmal regelrecht verzweifelt, dass die Fantasie so mit mir durchging, dass ich für meine Geschichten kein Ende finden konnte und bei Aufsätzen zehn Seiten und mehr geschrieben habe. Ein Deutschlehrer von meinem Gymnasium hat mir beim Abitur noch von einem völlig ausufernden Märchen erzählt, das ich in der fünften Klasse wohl geschrieben hatte. Eigentlich habe ich immer nach einem Weg gesucht, erzählen zu können – wenn wir bei einer Argumentation Thesen und Antithesen schreiben sollten, dann habe ich alles in Geschichten verpackt, einfach, weil es mir sonst selbst zu langweilig gewesen wäre!“, erzählt die heute in München lebende Mutter von drei Kindern.
Dennoch sei ihr damals nie in den Sinn gekommen, einmal Autorin zu werden: „Ich wusste ganz einfach nicht, dass man das beruflich machen kann. Das hatte nichts mit meinem Leben zu tun!“. Ihre Mutter Hildegard Köster ist von Beruf Sozialpädagogin und arbeitete im Kindergarten, Vater Olaf war Wertpapieranalyst. Doch Katharina Köster entwickelte eine eher künstlerische Ader, wenn auch zunächst auf einer ganz anderen Ebene: Ihre Ballettlehrerin Frau Röhrig aus Walluf erkannte bei dem Mädchen ein besonderes Talent und förderte Katharina als Tänzerin mit einem unentgeltlichen Training mehrmals in der Woche. Ziel sollte sein, dass Katharina das staatliche Dr. Hoch’s Konservatorium in Frankfurt besucht und dort eine vorbereitende Ballettausbildung absolviert. Die Aufnahmeprüfung bestand sie prompt. „Danach war mein Leben und auch das meiner Familie viele Jahre geprägt vom täglichen Training in Frankfurt. Teilweise hat meine Mutter mich hingefahren, teilweise ist meine Oma mit mir Zug gefahren. Das war richtig ernsthaft und hart, ich hatte nur noch während der Fahrten Zeit für Hausaufgaben und ich habe darüber viel Disziplin gelernt“, erinnert sich Katharina Köster.
Mit 14 Jahren sei dann aber auch wieder das Schreiben ernsthafter in ihr Leben getreten: Es gab einen Kurzgeschichtenwettbewerb der Eckenroth Stiftung für Medienkultur und Katharinas damalige Deutschlehrerin Frau Klöppner schlug ihr vor, teilzunehmen. „Kurze Zeit zuvor war mein Bruder gestorben und das beherrschte mein Leben zu dieser Zeit völlig. Bis dahin hatte ich versucht, Geschichten wie TKKG zu kopieren, aber mit einem Mal erschien mir das so sinnlos und ich wollte nur noch über Dinge schreiben, die mir wichtig waren und mich betrafen. Ich habe also über den Tod meines Bruders geschrieben und tatsächlich diesen Wettbewerb gewonnen“, erzählt sie.
Mit dem Gewinn des Wettbewerbs ging auch ein Schreibtraining der Eckenroth Stiftung für Katharina einher. Unabhängig davon fragte sie auf einem Trauer-Seminar die Autorin Marie-Thérèse Schins, ob sich Katharina vorstellen könne, in einem Buch über Trauer bei Jugendlichen mitzuschreiben. „Es gab damals viele Ratgeber für Eltern verstorbener Kinder, aber kaum einer beschäftigte sich mit der Gefühlswelt zurückgebliebener Geschwister, geschweige denn gab es Literatur aus der Sicht von Jugendlichen“, erinnert sie sich. „Und wenn ich falle?“, „Vom Mut, traurig zu sein“, „Um Kinder trauern“, „Eltern und Geschwister begegnen dem Tod“, „Du bist noch da?“ lauten die Titel der Bücher, bei denen Katharina Köster mitgeschrieben hat und zusammen mit der Autorin Marie-Thérèse Schins hatte sie sogar eine Lesung an ihrer damaligen Schule, der Sankt Ursula-Schule in Geisenheim.
Durch die Eckenroth-Stiftung ergaben sich für die Rheingauerin damals auch viele Möglichkeiten, als Praktikantin die Theater- und Filmwelt kennen zu lernen. Beim Tanzen hingegen lief es nicht so gut, gesundheitliche Probleme, heftige Knieschmerzen, führten dazu, dass die 18jährige Katharina beschloss, das Ballett aufzugeben. „Das war eine sehr schmerzhafte Entscheidung, aber ich habe auch gesehen, dass ich wirklich nicht talentiert genug war und dass ich für wenige Jahre in hinterster Reihe bei härtestem Training meine Gesundheit geopfert hätte. Das Gute war, dass ich mit dem Schreiben etwas hatte, das mir ebenso viel Spaß machte. Aber mir war auch klar, dass ich auch damit nicht in eine sichere Zukunft steuere!“, erinnert sie sich. Ihr Ziel war eine gute Ausbildung, um ihre Chancen zu erhöhen. Sie bewarb sich an einer Schreibschule, bekam jedoch eine Absage, an der Filmhochschule in München hingegen wurde sie zur Aufnahmeprüfung eingeladen. Und die war nervenaufreibend: „Ich musste Treatments und Szenen schreiben – Textformen, die ich nicht kannte, ich musste auf der Straße Menschen fotografieren – ohne mich zuvor mit Fotografie beschäftigt zu haben. Ich war mein Leben lang wenig im Kino gewesen und zu Hause hatte unser Fernseher nur drei Programme. Ich war schon sehr viel unerfahrener und blauäugiger als die meisten anderen Bewerber und es wurden nur sehr wenige genommen!“. Und doch klappte es: Mit ihrer Idee, einen realen Amoklauf zum Thema zu machen, wurde Katharina Köster als Drehbuchstudentin in die Dokumentarfilmklasse gesteckt – wieder etwas komplett Neues für die Rheingauerin: „Ich kannte Dokumentarfilm überhaupt nicht. Aber das erste Dokumentarfilmfestival in München war wie ein Erweckungsmoment für mich: Die Filme waren so nah am Leben, es ging um wirklich relevante Themen und es waren häufig ganz kleine Geschichten aus Lebenswelten, die man sonst nie zu Gesicht bekommen hätte. Ich habe das Dokumentarfilmmachen ziemlich schnell lieben gelernt und meine ersten Filme gemacht. Dabei haben mich immer Themen interessiert, die mich selbst auch moralisch herausfordern, die bei mir und später auch beim Zuschauer neue Blickwinkel eröffnen und über die man im besten Fall später noch viel miteinander sprechen kann!“. „Natascha“ sei so ein Film gewesen – hier begleitet Katharina Köster eine geistig behinderte junge Frau, die ein Kind bekam. Für den Dokumentarfilm „Nach dem Happy End“ kam sie auch zurück in den Rheingau und begleitete einen Jungen nach seiner Herztransplantation über zehn Jahre lang: „Man würde erwarten, mit der Transplantation ist alles geschafft, aber wie lernt man mit 14 Jahren plötzlich zu leben, wenn es davor nur darum ging, zu überleben?“.
„Rückblickend muss ich sagen, dass man wirklich nicht unterschätzen darf, was für einen Unterschied man als Erwachsener für ein Kind machen kann, wenn man etwas in ihm sieht und sich ihm annimmt – es ist so wichtig, dass es solche Menschen gibt! Wenn ich nicht diese Ballettlehrerin gehabt hätte, die Deutschlehrerin, diese Stiftung, niemals wäre ich auf die Idee gekommen, dass ich eine Autorin werden könnte. Und dann hatte ich auch noch Eltern, die bis zur Naivität bedingungslos an mich geglaubt haben - manchmal habe ich mich wirklich gefragt: „Müssten sie sich nicht Sorgen um mich machen und sagen „Vom Ballett kannst du nicht leben, vom Schreiben kannst du nicht leben, such Dir einen richtigen Beruf!“ – aber nein, sie kannten die Branche nicht und hatten keine Ahnung, was ich da tat, aber sie waren sich immer sicher, dass ich das schaffen würde!“, hält die erfolgreiche Filmautorin heute fest.
In ihrer neuen Heimat in München lernte sie schon während des Studiums ihren Ehemann Tobias Tempel kennen und wurde noch als Studentin auch Mutter. Mittlerweile hat das Paar, das in München lebt, drei Kinder zwischen 4 und 11 Jahren. Tobias Tempel ist Kameramann und arbeitet mit seiner Frau auch bei ihren Dokumentarfilmen zusammen. „Auch wenn ich seit 2005 in München bin – ich werde jedes Mal wehmütig, wenn ich in einen Biergarten gehe. Die Weinprobierstände am Rhein sind so viel schöner!“; freute sie sich, auch mal wieder in der alten Heimat zu sein.
Ein Bericht von Sabine Fladung vom 20.10.2024.
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