Johannisberger Weinkritik - Weine probieren und kritisieren
28.01.2025
Seit fast 80 Jahren engagiert für den heimischen Weinbau / 250. Jubiläum des Spätlesereiters wird mitorganisiert
Johannisberg. (sf) Die „Johannisberger Weinkritik“ ist eine von fünf Weinvereinigungen im Rheingau und gleichzeitig auch die älteste: Seit fast 80 Jahren engagieren sich die Weinkritiker für den regionalen Weinbau und die heimischen Winzer. Neben der 1946 gegründeten Johannisberger Weinkritik, die sich selbst „nicht als Weinbruderschaft im formalen Sinn, sondern als Weinvereinigung“ versteht, gab es zunächst nur die 1971 entstandene große Weinbruderschaft, den Rheingauer Weinkonvent. Da Hochheim zur Weinbauregion Rheingau gehört, ist als nächster der 1979 gegründete Weinfreundeskreis Hochheim zu nennen. 1988 fanden die „Geisenheimer Wein-Reimer“ zusammen, 1991 gründete sich in Walluf, der ältesten Weinbaugemeinde des Rheingaus, das „Weincollegium Villa Waltaffa“ und 1994 rundeten im historischen Lorch die „Weinjunker“ die Palette der Rheingauer Weinfreundeskreise ab.
Johannisberg gehört mit über 1200 Jahren Weinbaugeschichte zu den ältesten Weinbaugemeinden überhaupt. Der Legende nach habe Kaiser Karl der Große von seiner Kaiserpfalz in Ingelheim im Frühjahr die frühe Schneeschmelze auf dem Johannisberg beobachtet und verfügt, dass aufgrund des begünstigten Klimas dort Wein angebaut werden solle. 817 kaufte sein Sohn Ludwig der Fromme am Elsterbach einen Weinberg von der damaligen Abtei in Fulda.
Diese wertvolle Weinbauhistorie zu pflegen und sich auch für die Zukunft der heimischen Winzer einzusetzen, hat sich die Johannisberger Weinkritik auf die Fahne geschrieben. So erinnern der 2019 verstorbene, langjährige Oberkritiker Erwin Boos, der bis 2013 stellvertretender Gutsverwalter auf Schloss Johannisberg war, und Prof. Dr. Leo Gros in Veröffentlichungen und Schriften an die Gründerjahre: „Die schweren Kriegsjahre von 1939 bis 1945 und einige Nachkriegsjahre hatten den Wein knapp und das Weintrinken zu einem Luxus werden lassen. Auch die Zusammenarbeit innerhalb des Winzerstandes hatte stark gelitten, sodass einige Johannisberger Winzer und Weinfreunde spontan den Entschluss fassten, diesen Kriegsfolgen entgegenzuwirken und im Interesse des Weinbaus und des Weines sich gegenseitig auszutauschen und hierfür zeitlich bestimmte Treffen festzulegen.“
Domänerat Christian Labonte hatte 1946 mehrere Winzer und den Bürgermeister von Johannisberg zu einem fachlichen Gespräch in den Schlosskeller eingeladen. Daraufhin gründete 1946 eine kleine Gruppe, bestehend aus Anton Eser, Peter Karb, Klaus Schmidt, Karl Zerbe und Bürgermeister Hans Krahn und Christian Labonte, die Johannisberger Weinkritik. Auf der Kellertreppe des großen Weinkellers unter dem Schloss Johannisberg suchte man einen passenden Namen für die Vereinigung. Der in Mainz geborene Bürgermeister Hans Krahn hatte die zündende Idee: „Wir nennen uns Johannisberger Weinkritik!“ Leo Gros deutet das so: „Kritisieren ist aus dem griechischen krino abgeleitet, unter dessen zahlreichen Bedeutungen scheiden, unterscheiden, auswählen zu finden sind. Der Name beschreibt damit sehr zutreffend, was man beim Verkosten von Weinen tut: sensorisch Unterschiede riechen und schmecken und dann so gut es geht mit Worten beschreiben.“
Adam Kronebach, der „Vater" der Winzerstammtische, nannte die Weinkritik ihre „Mutter“, so die Chronik. Bei monatlichen Treffen im privaten Kreis bei den „Mitkritikern“ wurden heimische und andere Weine probiert, fachlich besprochen und sensorisch kritisiert. In den ersten zwei Jahrzehnten war Hans Krahn als Oberkritiker der Motor dieses Kreises. Ihm folgte 1966 Christian Labonte, der von 1924 bis 1967 als Domänerat des Schlosses Johannisberger Weinbaugeschichte mitschrieb. Er übergab sein Amt 1979 an Karl-Heinz Glock, den Betriebsleiter des Landgräflich-Hessischen Weinguts, das heute Weingut Prinz von Hessen heißt. Im Januar 1991 löste ihn Erwin Boos von Schloss Johannisberg ab. „Neben den genannten Aktiven der Weinkritik sind vor allem auch Dr. h.c. Josef Staab und der Johannisberger Pfarrer Jean Hörnis zu nennen. Ersterem verdanken die Vereinigung, aber auch der Rheingau und die Weinkultur insgesamt, zahlreiche wissenschaftliche Erkenntnisse und historische Forschungsergebnisse zur Geschichte der Weinkultur, besonders im Rheingau. Pfarrer Hörnis hat jahrelang den Erntedank der Rheingauer Winzer in Kloster Eberbach liturgisch mitgestaltet und 1964 die alte Tradition der Johannisweinsegnung zusammen mit Erwin Boos und Josef Staab neu belebt. Ein langjähriges Mitglied war auch Paul Alfons Prinz von Metternich-Winneburg“, erinnert Leo Gros.
2008 übernahm Klaus Büsselberg, genannt „Riesling-Klaus“, das Amt des Oberkritikers. Als er die Aufgabe 2018 weitergeben wollte, war eine Gruppe auch jüngerer Mitglieder der Meinung, man solle künftig die traditionelle Funktion des Oberkritikers durch ein Team ersetzen. Dazu fanden sich Mitkritiker bereit, die Tradition der Weinkritik zu erhalten. So führt man die Arbeit gemeinsam mit verteilten Aufgaben fort. „Die Weinkritik war und ist weiterhin kein Verein und keine Weinbruderschaft. Sie hat daher auch keine Satzung. Sie wird von einem Team mit fester Aufgabenverteilung geführt“, so die Weinkritiker. Das Team erarbeite mit Anregungen der Mitkritikerinnen und -kritiker jährlich ein Programm. Dazu gehören die traditionellen Treffen in Weingütern mit Proben, oder von einem Mitkritiker ausgerichtete Proben zu bestimmten Themen. Auch werden Gäste eingeladen, die weinfachliche Informationen mitbringen. Zu den festen Terminen im Jahr gehören ein geselliges Treffen im Sommer, zu dem alle Weine und Speisen mitbringen, die Weihnachtsfeier Mitte Dezember und die Johannisweinsegnung am 27. Dezember, organisiert zusammen mit der Pfarrgemeinde Heilig Kreuz und dem Schloss Johannisberg.
Bis heute bringt die Weinkritik Menschen zusammen, die sich für Wein, insbesondere die Johannisberger Rebensäfte, interessieren und sich dazu einige Male im Jahr treffen. Dabei sind auch die Partnerinnen und Partner der Mitglieder gern gesehene Gäste. Vor allem aber werden die Frauen verstorbener alter und langjähriger Mitglieder zu den festen Jahresterminen eingeladen. In den letzten Jahren wurde die Initiative des letzten Oberkritikers Klaus Büsselberg fortgeführt, gerne auch Frauen aufzunehmen und jüngere, „weinaffine“ Mitglieder zu gewinnen. Dem Wein beruflich verbundene oder dem Wein und seiner Kultur zugeneigte Johannisberger Neubürger werden zur Mitgliedschaft eingeladen. Wie der Name „Kritik“ sagt, teilen sie alle ihre sensorische Wahrnehmung vieler verschiedener Weine miteinander. „Die Weinkritik sieht sich in Ergänzung zum berufsständisch-politisch ausgerichteten Weinbauverein Johannisberg im Rheingauer Weinbauverband für die Weinkultur zuständig. Darin steckt auch ein Element Öffentlichkeitsarbeit für den Johannisberger Wein und seine Geschichte.“ So versteht sich die Weinkritik heute und künftig als Netzwerk, das mit anderen Organisationen zusammen immer wieder für den Johannisberger und Rheingauer Wein eintritt – ohne dabei den Blick über den Tellerrand zu vergessen.
Besonderes Aufsehen erregte die Weinkritik mit ihren großen, festlichen Weinproben. 1965 hielt die Vereinigung ihre erste große öffentliche Weinprobe als Einstimmung zum Johannisberger „Fest des Weines und der Rosen". Rund 30 Jahre lang fanden danach im Ein- bis Dreijahresabstand im Ostflügel von Schloss Johannisberg festliche Weinproben statt, deren Probelisten noch heute alle Weinliebenden begeistern. Im Juni 1975 umfasste die Probe zum 200. Jubiläum der Spätlese in Johannisberg 27 Weine. „Ob eine solche Parade von Kostbarkeiten außer bei der Johannisberger Weinkritik irgendwo sonst auf der Welt öffentlich zu verkosten war, bezweifeln die dankbaren Mitglieder und all jene, die dabei waren, wohl zu Recht!“, so Leo Gros. Die bisher letzte große, öffentliche Weinprobe mit Johannisberger Weinen erinnerte 2017 an die Urkunde von 817 von Ludwig dem Frommen. Und die Tradition der festlichen Weinprobe soll in diesem Jahr zum 250. Jahrestag der historischen Spätlese von 1775 fortgeführt werden, wie die Weinkritiker für das letzte Quartal 2025 ankündigen.
Der Johannisberger
Weinwanderweg
1976 hatte die Weinkritik einen der ersten ausgewiesenen Weinwanderwege im Rheingau initiiert und einen sieben Kilometer langen Wein-Wander-Weg rund um Johannisberg geschaffen: 20 Holztafeln, die von den Johannisberger Weingütern gesponsort wurden, vermittelten Wissenswertes über den Johannisberg und seine Weine. Die verschiedenen Stationen informierten über Bewirtschaftungsformen, stellten historische Bauwerke vor, zitierten berühmte literarische Besucher des Johannisbergs und boten viel Wissenswertes über den Rheingau, die reichhaltige Historie und über den Weinanbau von der Traubenlese über die Kelterung bis hin zur Vermarktung.
Jeweils am 1. Mai führte die Weinkritik eine etwa dreistündige geführte Weinwanderung durch, die sich stets großen Zuspruchs erfreute.
Mittlerweile jedoch sind die Hinweisschilder dieses Weinwanderwegs sehr in die Jahre gekommen. Deshalb hat ein Team von Weinkritikern einen neuen Weg konzipiert. Michel Städter von Schloss Johannisberg, Claus Odernheimer vom Weingut Abteihof St. Nikolaus und Johannes Eser vom Weingut Johannishof vertreten dabei auch den Johannisberger Weinbauverein, Leo Gros kümmert sich um die Texte für die Informationstafeln. Sie werden unterstützt von Stefan Muskat und Prof. Dr. Otmar Löhnertz von der Hochschule Geisenheim. Die Stadt Geisenheim und die Rheingau Kultur- und Tourismus GmbH sind mit im Boot. Für den neuen Wanderweg konnten die Weinkritik und der Weinbauverein auch Mittel aus Leader-Projekten einwerben. Er wird außerdem mit vorhandenen Wanderwegen wie dem Rheinsteig, dem Flötenweg, dem Geisenheimer Weinwanderweg und dem Mühlenwanderweg verknüpft sein und in Ergänzung zu deren Tafeln an eigenen Stationen Informationen zu den Besonderheiten Johannisbergs als Weingemeinde in zeitgemäßer Form bieten. Noch in diesem Jahr soll der neue Weinwanderweg der Johannisberger Weinkritik fertig werden.
Auf Initiative von Oberkritiker Klaus Büsselberg, unterstützt von Mitkritiker Eric Andersson, war 2005 auch eine Fahne für die Vereinigung angeschafft worden, die am 10. November 2005 von Pfarrer Jean Hörnis geweiht wurde. Als Zeichen der Mitgliedschaft erhielten neu eingeladene „Mitkritikerinnen und Mitkritiker“ neben einer Urkunde eine Gliederkette mit einem aus Leder gestanztem „Fassboden“, auf dem der aus geprägtem Metall geformte Spätlesereiter dargestellt ist. 2024 griff die Weinkritik außerdem auf eine alte Tradition zurück und ließ für die Mitglieder kleine Anstecker herstellen, die sie als Weinkritikerin oder -kritiker kenntlich machen und die ebenfalls den Spätlesereiter zeigen. Schließlich ist der Spätlesereiter ein prägendes Symbol des Weindorfs Johannisberg. Eng verbunden ist diese für den Weinbau weltweit so legendäre Gestalt mit der osthessischen Stadt Fulda: Schon Karl der Große schenkte der aufstrebenden Abtei Fulda 777 das Königsweingut Hammelburg, sodass sich mehrere kleine Weinberge im Rheingau, Hammelburg, Rheinhessen, der Pfalz und Württemberg in fuldischem Besitz befanden. Der fuldische Fürstabt erwarb dann 1716 die Domäne Johannisberg im Rheingau und ließ unter genauer Angabe des Zeilenabstands die Weinberge mit sortenreinen Rieslingreben bepflanzen. Dies war beispielgebend für alle Weinanbaugebiete im In- und Ausland. Vor der jährlichen Ernte musste ein Bote von Johannisberg nach Fulda reiten, um die Leseerlaubnis einzuholen. Als der Reiter des Kloster Johannisberg 1775 nach Fulda ritt, um dort beim Bischof die Erlaubnis zum Lesebeginn zu holen, verspätete er sich bei der Rückreise so sehr, dass man zunächst dachte, die Trauben seien alle verdorben. Sie wurden doch geerntet und ergaben überraschenderweise einen exzellenten Wein: die Spätlese.
Das 250. Jubiläum dieser Entdeckung soll gebührend gefeiert werden. Deshalb hat sich auch die Weinkritik vorbereitend und aktiv in die Gestaltung des 250. Jubiläumsjahres der Spätlese auf dem Johannisberg mit eingebracht. So wurde unter anderem eine reiche Auswahl gereifter edelsüßer Weine aus dem Bestand des Mitkritikers Achim Zerbe fachgerecht umgekorkt, denn diese Weine sollen als Basis für Weinproben im Jubiläumsjahr zur Verfügung stehen. Im Mittelpunkt steht bei den Jubiläumsvorbereitungen natürlich auch die Zusammenarbeit mit Schloss Johannisberg, dem Rheingauer Weinkonvent, den anderen Weinorganisationen im Rheingau und der Gesellschaft für Geschichte des Weines, die aktuell ihre Frühjahrstagung vom 21. bis 23. März aus Anlass des Spätlesejubiläums in der Hochschule Geisenheim und auf dem Johannisberg veranstaltet.
Schon 2005, zum 230-jährigen Jubiläum der Entdeckung der Spätlese, hatte Erwin Boos von der Johannisberger Weinkritik die Idee gehabt, ein weiteres Abbild des Johannisberger Spätlesereiters, der im Schlosshof immer wieder die Blicke der Touristen und Besucher auf sich zieht, am Johannisberger Ortseingang von Winkel kommend anzubringen. Der Johannisberger Weinbauverein unterstützte diese Idee und Dr. Josef Staab half bei der Finanzierung, denn er wünschte sich zu seinem 85. Geburtstag statt Geschenken eine Spende für die Verwirklichung dieses Planes. Mit Achim Kreis, einem Metallbau-Meister aus Stephanshausen, der schon mehrfach in Johannisberg Kunstschmiedearbeiten angefertigt hatte, fand man den richtigen Handwerker, der die Idee künstlerisch umsetzte. Besuchern, die Johannisberg von Winkel aus kommend anfahren, fällt die Figur des Johannisberger Spätlesereiters so bis heute sofort ins Auge.
Ein Bericht von Sabine Fladung vom 28.01.2025.
427