Neuer Wein in alten Fässern

14.03.2008

Der Winzer Klaus Molitor aus Hattenheim in seinem Weinkeller
Der Winzer Klaus Molitor aus Hattenheim in seinem Weinkeller

Tradition ist ein langer, ruhiger Fluss. Und dass man nicht zweimal in denselben steigen kann, wusste schon Heraklit. Auf der Suche nach Spuren der Tradition im Rheingau hat sich Andreas Unkelbach zu vier Weingütern im Rheingau begeben und befindet: Tradition ist Veränderung.

Spuren von Weinbau im Rheingau lassen sich bis in die Römerzeit nachweisen. Der erste kultivierte Weinanbau datiert dann zum Jahr 1135, zunächst durch die Benediktiner und später durch die Zisterzienser im Kloster Eberbach. Mit der Säkularisation von 1803 endete das Klosterleben im Rheingau, nicht aber die Weintradition der Zisterzienser. Die beispielgebende Weinbaukultur hat bis heute ihre Fortsetzung gefunden. Alle weltlichen Nachfolger - zunächst der Herzog von Nassau, ab 1866 das Königreich Preußen und seit 1945 das Land Hessen - wahrten das Eberbacher Erbe. Ja, sie bauten es aus, aktuell Dieter Greiner als Leiter der Hessischen Staatsweingüter Kloster Eberbach, denn: "Nur wenn wir neue Ideen entwickeln, können wir unsere Weintradition zeitgemäß fortführen." Weintradition ist für Dieter Greiner ein viel strapazierter Begriff. Für den Leiter der Hessischen Staatsweingüter Kloster Eberbach bedeutet dies in erster Linie ein sorgfältiges Abwägen zwischen Identität und Kernkompetenz: "Was gilt es weiterzuentwickeln?

Was ist erhaltenswert?" Die viel zitierten Mönche seien auch nicht stehen geblieben, erklärt Greiner. Noch im Mittelalter war die "traditionsreiche" Rebe Spätburgunder wichtigste Sorte im Rheingau. Heute besetzt Spätburgunder eine Nische. "Wir müssen unsere Tradition ständig überarbeiten, um erfolgreich zu sein. Wir haben das Original, wir müssen damit arbeiten." Zukunft hat für den Chef über 200 Hektar und somit das größte Deutsche Weingut auch Herkunft. Der Wein von Eberbach setzte Maßstäbe für die Region. Zisterzienser setzten als Erste auf den Riesling. "Kloster Eberbach hat immer den Qualitätsgedanken hochgehalten, war beispielsweise richtungweisend bei der Einführung von Originalabfüllungen", so Winzermeister Stefan Seyffard. Die Frühjahrsund Herbstauktionen der Hessischen Staatsweingüter zählen bis heute zu den Glanzlichtern des Weinjahres. Unter preußischer Ägide setzten die Domänen mit Musterbetrieben Maßstäbe bei der Lösung von Weinbauproblemen und der Erzeugung von Spitzenweinen. Mit dem Kloster als zeremoniellem Hauptquartier der Staatsweingüter setzt Greiner nun auf neue Weinkonzepte und Vermarktung, um neue Kundenkreise zu erschließen. Ihm ist es gelungen, historische Verbindungen glaubhaft zu kommunizieren. Sein Meisterstück soll der Neubau des Kellers am Steinberg sein, der im Mai eingeweiht wird. "Der Name des Herrn sei gepriesen, und es blühe der Steinberg." Ein Eintrag im Herbstbericht anno 1762.

Tradition (von lat. tradere "hinübergeben") bezeichnet die Weitergabe von Handlungsmustern und Bräuchen. Daran angelehnt finden wir im Wappenspruch der Familie Spreitzer: "Erhalte das väterliche Erbe". Und so arbeiten die Spreitzer- Brüder auch. "Wir haben den Stil von unserem Vater übernommen und bewahren innere Stoffe, ohne viel einzuwirken." Das Weingut in Oestrich kann auf eine Weintradition seit 1641 (aus der Linie Bickelmayer großmütterlicherseits) zurückblicken, eine Zeit in den Wirren gegen Ende des Dreißigjährigen Krieges. Doch Andreas Spreitzer möchte diese Tradition lieber den anderen lassen. "Wenn wir von Tradition sprechen, müssen wir auch ehrlich berücksichtigen, dass damals gar kein Wein erzeugt, sondern Trauben abgegeben wurden." Dies bedeutete in den ersten 300 Jahren bis zu den 1950ern: Wie viele andere Weinbau-Familien, die schon längst verschwunden sind, haben die Spreitzers Trauben erzeugt und diese abgegeben an Kirchen und Schlösser. Auch der Spruch auf dem Fass ist relativ neu! "Egal was wir machen - wir machen es nicht lange", reduziert Andreas Spreitzer die Familientradition auf das Wesentliche: Josef Spreitzer war Verwalter im Weingut Heß, hat es 1934 gekauft. Dort beginnt das Spreitzersche Sinnsprüchlein zu wirken. "So viel verändert haben wir nicht. Schon Vater hatte Weine im zwei bis drei Trauben-Bereich", ist sich Andreas sicher. Doch erst er und sein Bruder Bernd "ernten" seit 1997 die Trauben auch in allerlei Weingutsbewertungen. Die wichtige Tradition erhält die Familie Spreitzer im Boden ihrer Weinberge. Dieser findet besonders in den Ersten Gewächsen aus dem Oestricher Lenchen und dem Wisselbrunnen Ausdruck, gemäß einem weiteren Sinnsprüchlein: "Unsere Heimat auf dem Gaumen ... So hamm mers gestern gemacht, so mach mers heut ..."

Die Historie der Freiherren Langwerth von Simmern im Rheingau datiert zurück bis in das Jahr 1464: Johanna von Orleans wird geboren, Cosimo del Medici stirbt. Johann Langwerth von Simmern wird für seine Verdienste als Kanzler des Herzogs Ludwig von Pfalz-Zweibrücken mit 32 2/3 Morgen "Hattenheimer Mannberg" belehnt, heute wird der 544. Jahrgang angeboten. Durch den Kauf des Lichtensternschen Hofes 1753 in Eltville wurde die Grundlage des heutigen Anwesens gelegt. "Sich der Vergangenheit bewusst zu sein, dem neuen aufgeschlossen zu sein", beantwortet Georg Reinhard Freiherr Langwerth zu Simmern die Frage nach Tradition, ohne groß zu überlegen, als sei Tradition ein Teil seines Lebens. Die jahrhundertelange Tradition der Erzeugung von Spitzenweinen aus Lagen mit Weltruhm ist der Familie immer wieder aufs Neue Ansporn und Verpflichtung gewesen, ihre Anstrengungen darauf zu richten, das Erreichte zu erhalten und neue Elemente behutsam einzufügen. Freiherr Langwerth zu Simmern sieht sich bescheiden als Teil der Tradition und "Verwalter" seines denkmalgeschützten Gutes: "Die Tradition soll die nächsten Jahrhunderte weitergehen." Als Freiherr Langwerth zu Simmern wird man in der Tradition groß. Schon vor hunderten von Jahren verkaufte die Familie Wein in die ganze Welt: Die Zaren tranken Hattenheimer Wein, England verehrte den Marcobrunn, "Langwerths" waren international tätig. Georg Reinhard sieht seine Vorfahren als Vorreiter des Rheingaus in der Welt, lenkt aber wieder bescheiden ein: "Nichtsdestotrotz muß man auch vor der Haustüre jemand sein". Hier sieht er seine Vision: Zusammenarbeit für die "Kulturlandschaft Rheingau", denn: "Der Rheingau Riesling ist nicht austauschbar." Das heißt frei nach Walter Benjamin:

"Die Einzigartigkeit des Weines ist identisch mit seinem Eingebettetsein in den Zusammenhang der Tradition."

"Riesling lässt man auf der Hefe bis Januar, haben die Alten gesagt ", befindet Helmut Solter schmunzelnd zum Thema Tradition im Rheingau. Doch um Tradition bei dem Rüdesheimer Sektgut zu finden, muss man schon genau hinschauen. Helmut Solter, geboren und aufgewachsen in Bischoffingen am westlichen Kaiserstuhl als Spross einer Winzer- und Gastro nomenfamilie. Dort waren Grund und Boden durch Vererbung zu klein geworden. Der Sekt-Manufakteur musste erst mit seiner Familientradition im Badischen brechen, um erfolgreich zu werden. Nach Lehre und Praktikum (u.a. in der Champagne) folgte ein Studium "Weinbau und Oenologie" in Geisenheim. Im Rheingau hat er heute - selten für Sektproduzenten - sechs Hektar eigene Weinberge in Lorch und Rüdesheim für den Grundwein aus eigenen Trauben.

Auf die im Rheingau "traditionell" stiefmütterlich betrachteten Lorcher Lagen ist er besonders stolz, denn "Lorch gibt einen unheimlichen Pfiff ins Sekt-Cuvée" Auch bei der Sektherstellung verlässt Solter traditionelle Pfade, nennt es selbst "Tradition verbinden": In seinem Rosé-Sekt treffen zwei unterschiedliche Regionen in einer Assemblage zusammen. Zum einen Roséwein vom Kaiserstuhl, der feurig und sehr weich schmeckt. Zum anderen feinfruchtige Roséweine aus Assmannshausen und Rüdesheim mit ihrer eleganten Säure. Eine Rosé-Komposition, die in Deutschland einmalig ist. "Doch Traditionen brechen heißt nicht Traditionen verachten", gibt sich Helmut Solter versöhnlich. Es fänden sich eben immer wieder neue Traditionen. In diesem Jahr bricht er sogar mit einer Eigenen: Bisher war sein Sekt immer brut. Jetzt bereitet er eine Gewürztraminersekt demi-sec vor. "Der hat ein Wahnsinnsaroma" freut sich der Winzer schon im Vor aus. Die einzige Tradition, die er nie brechen werde, sei das originale Champagnerverfahren (die klassische Flaschengärung) bei der Erzeugung seiner Sekte, versichert Helmut Solter.

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