Handwerk, Sensibilität, Intuition, Vision: Künstler

12.09.2008

Eine Kapelle in den Weinbergen bei Hochheim am Main
Eine Kapelle in den Weinbergen bei Hochheim am Main

Das Mysterium Terroir existiert hier

Sein Händedruck zur Begrüßung ist kräftig, trocken und herzlich - wie seine Weine aus der Hochheimer Hölle. Doch im Gespräch wird schnell klar:

Sensibilität und Intuition sind wichtige Handwerkszeuge des Winzers Gunter Künstler, der, ihm selbst eher entsprechend, den Riesling 2007er Kirchenstück Goldkapsel als seinen Lieblingswein bezeichnet. Andreas Unkelbach fragt nach dem Erfolgsrezept des Hochheimers.

Als "Orts-Lafite" bezeichnet Gunter Künstler seinen Riesling Goldkapsel aus dem Kirchenstück in meiner linken Hand. Er schwebt im Gaumen wie ein Stück Seide, ist elegant und grazil. Nach dem deutschen Weingesetz habe ich immerhin eine Auslese trocken im Glas, eher ein Schwergewicht, wie man vermuten könnte. "Der tanzt, macht nicht satt", schwärmt auch Künstler über den Wein aus dem neuen Jahrgang. Seine Weine sind nicht nur zum Anbeten da. Diese trockenen Auslesen haben ihm über die Grenzen Deutschlands hinaus Ruhm verschafft. Wir sitzen im neoklassischen Gebäude der ehemals ältesten rheinischen Sektkellerei "Burgeff", das Künstler 2006 erwarb und zum Spitzenweingut umfunktionierte. Hier fühlt er sich endlich zu Hause. Hier probieren wir den Jahrgang 2007.

"Wein ist ein Abbild jener Landschaft, in der er gedeiht." Entsprechend seiner Philosophie, dass jede der Hochheimer Spitzenlagen durch verschiedene Bodenarten ihren ganz eigenen Charakter hat, koste ich im Glas in meiner rechten Hand eine ganz andere Welt: Die breitschultrige Wucht des Rieslings aus dem gleichen Jahr wird von wunderbarer Mineralität getragen. Diese Mineralität macht die Hölle langlebig: "1992 kann man jetzt trinken!", schwärmt Künstler! Die Attribute der Lage jedenfalls landen bei Künstler in der Flasche. "Das Mysterium Terroir existiert hier", erklärt der diplomierte Weinbau- und Wirtschaftsingenieur seine Lagenphilosophie. "So wie die heterogenen Weine der verschiedenen Hochheimer Lagen in einem kleinen Experiment verkostet wurden, war es erwartbar." Von Dr. Böhm wurden sechs Weinberglagen zwei Meter tief gelocht. Das Ergebnis: anderer Boden - anderer Ausdruck im Wein. Die Bodenproben bestätigten Künstlers Vermutung.

Am Beispiel der Hölle und des Kirchenstücks verdeutlicht Künstler die Unterschiede seiner Rieslinge. Das Kirchenstück sieht im Bodenprofil wie ein Stück von einer sechsschichtigen Torte aus. In der kalkreichen Tonmergelschicht etwa einen Meter unter der Oberfläche sitzt der größte Anteil der Wurzeln. Daneben ist der Oberboden mit einem hohen Anteil an Ton und seiner großen Mineralkraft prägend. Kräftiger Tonmergel bildet hingegen den Untergrund der Hölle. Dieser wird von lockerem Lößlehm überdeckt. Darüber folgt der von Humus und aufgebrachtem Kompost schwarzbraun gefärbte Oberboden. Unterschiedlicher als Kirchenstück und Hölle können Rieslinge kaum sein. Während die "Hölle" aufgrund des schweren Tonbodens monumental erscheint, schmeckt das auf leichtem Lehm gewachsene Kirchenstück bei Künstler immer fein und grazil. Die beiden Lagen vertragen sich auch nicht im Verschnitt, weiß Gunter Künstler aus einem Selbstversuch: "Das schmeckt wie Hund!" Das ständige Hinterfragen treibt den akribischen Arbeiter stetig voran. "Das Rezept ist: Es gibt kein Rezept."

Was die Lagen in Hochheim wirklich ausmacht, möchte Künstler weitertragen. "Kultur ist, was bleibt, wenn andere Dinge vergehen." Künstler legt im Ausbau seiner Weine leidenschaftlichen Perfektionismus an den Tag, denn der Wein solle ja mindestens zehn Jahre halten. Er ist ein Visionär: Schließlich muss jemand die Reben 1992 so geschnitten haben, dass sie heute schmecken.

Auch den Jahrgang 2008 zu Spitzenweinen zu "machen", wird wieder eine leidenschaftliche Aufgabe für Gunter Künstler: "Denn nur einmal im Jahr hat man die Gelegenheit, in perfekter Aneinanderreihung von Handgriffen diesen wunderbaren Ausdruck der Natur auf die Flasche zu füllen." Treue und zufriedene Kunden dürfen sich bereits mit dem Jahrgang 2007 wieder freuen: Die Trauben sind nicht in den verkehrten Keller gegangen...

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