Rarität am Sonnenhang

17.06.2009

Die warmen, sonnenbeschienenen Hänge des Rheintals sind nicht nur für den Winzer attraktiv. Zwischen Oestrich-Winkel im Westen, Wiesbaden im Osten und Bad Schwalbach im Norden existiert ein isoliertes Gebiet von etwa 100 Quadratkilometern, in dem sich ein ganz besonderes Tier scheinbar pudelwohl fühlt. Die Rede ist von unserer größten einheimischen Schlange, der Äskulapnatter.

Auch Ihnen ist diese ungiftige Schlange mit dem wissenschaftlichen Namen Zamenis longissimus wohlbekannt! Ausgewachsene Exemplare können bis zu 1,80 m lang werden. Noch nie gesehen? Doch. Denn wer lief beim Arzt- oder Apothekenbesuch noch nicht an dem berühmten Symbol der Heilkünste vorbei? Asklepios, der griechische Gott der Heilkunst, der sogar Tote wieder zum Leben erwecken konnte, stützt sich bereits in den ältesten mythologischen Darstellungen auf den berühmten Schlangenstab.

Die Äskulapnatter ist als eine Tierart des Mittelmeerraumes in Europa weit verbreitet. Das Areal reicht von Spanien über die Alpenländer bis zum Balkan. Ostwärts reicht es bis an die Ostküste des Schwarzen Meeres nach Russland, Georgien, die Türkei und den Nordiran. In Deutschland existieren lediglich vier voneinander isolierte heimische Populationen. Zwei liegen in Bayern im Donautal bei Passau sowie an der unteren Salzach und zwei in Hessen im Rheingau-Taunus und in Wiesbaden sowie im Odenwald, wobei letztere sich auch auf Baden-Württemberg erstreckt.

Im Rheingau-Taunus schlängelt sich die berühmte Schlange in ihrem nördlichsten mitteleuropäischen Vorkommensgebiet auf der Suche nach Mäusen und Kleinvögeln zwischen April und September durch Gärten, Bachtäler und lichte Laubwälder. Im Mai und Juni ist die aktivste Zeit der Schlangen. Männchen sind auf der Suche nach Partnerinnen und messen dabei ihre Kräfte bei Kämpfen mit potenziellen Konkurrenten. Die Äskulapnatterdamen schauen sich derweil nach geeigneten Plätzen für die Eiablage um.

Eine faszinierende Fähigkeit lässt die Tiere dabei genau solche Orte finden, die genügend Eigenwärme produzieren, um die in Klumpen abgelegten Eier ohne weiteres Zutun mit der nötigen Bruttemperatur zu versorgen. Denn das wechselwarme Reptil brütet nicht selbst, sondern benutzt verrottendes Material, das sich bei der Zersetzung erhitzt, wie zum Beispiel das Innere von Kompost- oder Misthaufen. Im September schlüpfen die Jungschlangen. Nach einer kurzen Verweildauer am Geburtsort muss sich der Nachwuchs aber bereits einen frostfreien Überwinterungsplatz wie etwa eine unterirdische Kleinsäugerhöhle suchen.

Im Zentrum der Verbreitung - man kann es sich fast denken - liegt die Gemeinde Schlangenbad. Einem Herrn Lenz haben wir die früheste publizierte Erwähnung aus diesem Raum aus dem Jahr 1832 zu verdanken: "Die schöne Schlange habe ich bei Schlangenbad im Herzogthum Nassau häufig gefunden, wo selbst sie von den Knaben eingefangen und den Fremden für Geld gezeigt wird. ... Sie wird aber durch das viele Wegfangen immer seltener." Die Seltenheit der Äskulapnatter spiegelt sich auch aktuell im weniger poetischen behördlichen Schrifttum wider. Denn die Spezies ist als streng zu schützende Art von gemeinschaftlichem Interesse im Anhang IV der sogenannten Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie der Europäischen Union aufgeführt. Sie gilt in Deutschland als vom Aussterben bedroht und in Hessen als extrem selten. Deutschland und damit vor allem Hessen (und zu kleineren Anteilen auch Baden-Württemberg) sind für die außerhalb des geschlossenen Verbreitungsgebietes befindlichen Vorposten dieser Art in besonderem Maße verantwortlich.

Ursprünglich war die Äskulapnatter ein Bewohner klimatisch begünstigter, mäßig feuchter, strukturreicher, sommergrüner Laubwälder. In ihren derzeitigen hessischen Verbreitungsgebieten bewohnt sie hauptsächlich extensiv genutzte, strukturreiche Flächen wie Streuobstgebiete, Waldränder, Brachen und Kleingartengebiete, wo sie an Trockenmauern beobachtet werden kann. Unverfugte Trockenmauern haben neben ihrer Stützfunktion, ihrer landschaftsästhetischen und kulturhistorischen Bedeutung auch zahlreiche ökologische Funktionen. Für wärmeliebende Reptilienarten wie die Äskulapnatter bieten sie vor allem Sonnenplätze an der Oberfläche sowie Rückzugs- und Überwinterungsmöglichkeiten in ihrem nischenreichen Inneren.

VivArt Wiesbaden & Rheingau Sommerausgabe 2009

Ein Bericht von Anette Zitzmann vom 17.06.2009.

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