Die Rüdesheimer Seilbahn wird 60
26.06.2014
Über 200 Höhenmeter überwindet die 1373 Meter lange Seilbahnstrecke, um Passagiere hoch zur Germania zu gondeln. Manchmal auch nachts. Bis zu 720 Gäste kann die Rüdesheimer Seilbahn pro Stunde in jeder Richtung befördern. Der Zustieg ist bequem und stufenlos möglich. Jede Kabine kann zum Ein- und Aussteigen angehalten werden.
Auch Fahrräder, Kinderwagen und Rollstühle dürfen mit. Die Fahrt ist ein Genuss: Mit prächtigem Blick auf Rhein und Reben schweben die Fahrgäste in zehnminütiger Fahrt hinauf auf den Niederwald. Jedes Jahr nutzen Hunderttausende die Seilbahn. "Unfallfrei", wie Geschäftsführer Orben betont. Inzwischen wurden mehr als 30 Millionen Besucher befördert. Der 35-millionste Gast wird noch in diesem Sommer erwartet. Das passt gut, denn in 2014 feiert die Rüdesheimer Institution ihren 60sten Geburtstag.
Den Vorläufer zog Kaiser Wilhelm hoch
Einst schnauften "Kaiser Wilhelm" und "Moltke" den Berg hinauf und bliesen dicke Qualm-wolken über die Rebstöcke. "Kaiser Wilhelm" und "Moltke" hießen zwei der Lokomotiven, die auf der Zahnradbahnstrecke von Rüdesheim zum Niederwalddenkmal betrieben wurden. Diese Zahnradbahn ist der "Vorläufer" der Rüdesheimer Seilbahn. Als das Nie-derwalddenkmal als Gedenkstätte für den deutsch-französischen Krieg von 1870/71 im Jahre 1883 fertig gestellt worden war, blickte von seinem wuchtigen Sockel wahrlich kein leichtes Mädchen ins Rheintal hinab: die bronzene "Germania" ist mehr als 12 Meter hoch und wiegt 32 Tonnen. Sie wirkte trotzdem anziehend. Doch wer sie und das fast 38 Me-ter hohe Monument besichtigen wollte, musste die 225 Höhenmeter vom Flussufer bis zur vorspringenden Bergnase des Niederwalds hinauf schnaufen. Das war in einer knappen Stunde zu schaffen, schreckte aber manch untrainierten Reisenden von einem Stelldichein mit Germania ab.
Der Zahn der Zeit nagte auch an der Zahnradbahn
In Rüdesheim war der Tourismus bereits Ende des 19. Jahrhunderts eine wichtige Einnah-mequelle. Und die Touristen zogen hinauf zur preußischen Madonna, wie die Germania heute noch liebevoll genannt wird. So nahm 1885 die Niederwaldbahn-Gesellschaft den Betrieb einer Zahnradbahn auf, die in manchen Streckenabschnitten eine Steigung von 20 Prozent auf ihrer 2,3 Kilometer langen Fahrt bewältigte. Das endgültige Aus für die Zahn-radbahn, die bis zu 230.000 Personen im Jahr beförderte, kam am 25. November 1944. Bei der Bombardierung Rüdesheims wurden die Bahnanlagen stark beschädigt.
Nach dem Zweiten Weltkrieg stiegen die Besucherzahlen des nur leicht beschädigten Niederwalddenkmals wieder sprunghaft an. Zunächst wurden die Gäste mit Bussen zum Denkmal befördert. Aber das war nur eine Übergangslösung. Inzwischen war klar gewor-den: Der Wiederaufbau der Zahnradbahnstrecke ist unrentabel. Die Kapazität reicht nicht mehr aus. Eine moderne und zugleich kostengünstigere Lösung musste her.
Nach oben schweben - ganz ohne Schnaufen
Die Idee für eine Seilschwebebahn stammt aus dem April 1950. Der Rüdesheimer Bauun-ternehmer Valentin Schlotter schlug dem Stadtparlament vor, eine solche Bahn zu bauen. Doch der Kommune fehlten die dafür erforderlichen Mittel. Etwas mehr als drei Jahre spä-ter, am 22. Juli 1953, konstituierte sich die Privatinitiative "Interessengemeinschaft Rüdes-heimer Seilbahn". Im November 1953 schließlich wurde die Kommanditgesellschaft "Bay-er, Opitz und Co." gegründet. Neben engagierten Bürgern gehörten ihr auch die Stadt und der damalige Rheingaukreis an. Kurz darauf montierte die Spezialfirma J. Polig AG die Einseil-Umlaufbahn. Das Kölner Unternehmen hatte damals 80 Jahre Erfahrung mit dem Seilbahnbau. Von der J. Polig AG stammt zum Beispiel auch die Seilbahn zum "Zuckerhut" in Rio de Janeiro.
Am Gründonnerstag 1954 setzten sich zum ersten Mal die Zweierkabinen in Bewegung. Die bequemen Gondeln machten in der Berg- und Talstation ein problemloses Ein- und Aussteigen möglich. Bereits im Sommer 1955 wurde der einmillionste Fahrgast begrüßt. Im Sommer 2014 wird der 35-millionste Fahrgast erwartet. Unfälle oder technische Defekte gab es in den vergangenen 60 Jahren nie. Wobei Vorsicht die Mutter der Gondel ist: Bei starkem Wind oder Gewitter wird der Betrieb eingestellt.
Die Neue sieht aus wie die Alte - mit Absicht
Seit 2005 ist die neue Rüdesheimer Seilbahn im Einsatz. Die offenen Kabinen, in denen sich die Fahrgäste wie eh und je gegenüber sitzen, bieten mehr Platz und somit mehr Komfort. Ganz wichtig: In ihnen ist modernste Seilbahn-Technik und das bewährte Rüdesheimer Gondel-Design vereinigt.
Technik und Steuerung der neuen Anlage kommen aus dem Alpen-Raum. Und die Rüdes-heimer Firma Anschau lieferte die neuen Gondeln im traditionellen Outfit. Fünfundachtzig eierförmige Edelstahlkabinen für jeweils zwei Personen wurden montiert.
Die Seilbahntechnik stammt von dem Lenggrieser Anbieter LST Loipolder, die Steuerung kommt von Siemens Austria, die Elektrik war Aufgabe des Greilinger Unternehmens Luidl. Mit Planung und Ausführung wurden orts-ansässige Firmen betraut - so zum Beispiel das Rüdesheimer Architekturbüro Schlotter + Träuptmann und das Bauunternehmen Schlotter. Gebaut wurde unter anderem eine 400 Quadratmeter große Halle, in der die Kabinen in der Bergstation untergebracht werden können. Sie ist gleichzeitig auch für Veranstaltungen konzipiert.
Heute ist die Seilbahn im Besitz der Stadt Rüdesheim, des Landkreises und zwölf privater Gesellschafter. Neben fünf Angestellten werden zehn Saisonkräfte beschäftigt. Sie haben gut zu tun, denn jedes Jahr nutzen Hunderttausende die Seilbahn, deren Talstation in der Rüdesheimer Oberstraße liegt.
Modern und doch mit ihrem ganz besonderen Charme schwebt die Seilbahn Rüdesheim so auch im 60sten Jahr von der Oberstraße Nummer 37 zum Fuße des Niederwald-denkmals. Dort übrigens findet sich auch Kaiser Wilhelm I. noch: Er ist lebensgroß als eine der 200 Figuren im Bronzerelief des Monuments verewigt.
Weitere Infos:
Seilbahn Rüdesheim
Tel. 06722 24 02
Ein Bericht von Lydia Malethon, PR Profitable vom 26.06.2014.
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