Eher wird es den wirksamen Impfstoff geben als digital vernetzte Behörden
14.11.2020
Interview mit Wolfgang Junglas als Veranstalter der Rheingauer Weinbühne: „Ich bin enttäuscht von den neuen Maßnahmen wegen der Corona-Pandemie“
Oestrich-Winkel. (sf) „Ich plane nur noch auf Sicht“, sagt Veranstalter Wolfgang Junglas: Auch die Rheingauer Weinbühne ist vom den neuerlichen Einschränkungen der Bundesregierung wegen der weltweiten Corona-Pandemie wieder direkt betroffen und verschiebt die drei für den November in der Brentanoscheune geplanten Veranstaltungen Menna Mulugeta am 8. November, Pariser Flair am 12. November und Roberto Capitonio am 14. November wegen des Lockdowns auf das nächste Jahr. Bereits gekaufte Karten behalten ihre Gültigkeit und die Ersatztermine sollen so schnell wie möglich bekannt geben werden, informiert Wolfgang Junglas. Für den TV Produzenten, Weinjournalisten, Buchautor, Inhaber von Konzept TV und langjährigen Veranstalter der Rheingauer Weinbühne in der Winkeler Brentanoscheune ist dieses Jahr mit den Einschränkungen wegen Covid 19 kein einfaches Jahr. Mit Rheingau.de sprach der gebürtige Eifeler, der seit vielen Jahren schon mit Ehefrau Tracy und seinen Kindern in seiner Wahlheimat Winkel lebt, über die Probleme, die er in diesem Jahr schon stemmen musste und die ihn auch jetzt nicht loslassen.
Rheingau.de: Herr Junglas, als Sie zum ersten Mal von COVID 19 gehört haben, hätten Sie gedacht, dass dieses Virus solche Auswirkungen haben wird?
Wolfgang Junglas: Als ich Ende Januar zum ersten Mal von einem bestätigten COVID 19-Infektionsfall in Deutschland hörte, bei einem Automobilzulieferer mit Kontakten nach China, ging ich davon aus, dass die Pandemie regional eingrenzbar wäre: Wie die Vogelgrippe 2004 und die Schweinegrippe 2009. Als im März der Lockdown kam, dachte ich noch: „Na ja – 6 Wochen und der Spuk ist vorbei!“. Es zeigt mir, wie naiv ich war. Ich konnte mir das Ausmaß der Pandemie überhaupt nicht vorstellen.
Rheingau.de: Wie war das beim ersten Lockdown, welche Veranstaltungen haben Sie absagen müssen?
Wolfgang Junglas: Die letzte Veranstaltung in der Brentanoscheune vor dem Lockdown hatten wir am 8. März. Am Freitag, den 13.3., überschlugen sich die Ereignisse: Stündlich kamen neue Erlasse. Die Zaubershow am 14.3. habe ich dann abgesagt, nach und nach dann alle neun bis zur Sommerpause im Juli geplanten Veranstaltungen. Das Problem war: es gab keine Planungssicherheit. Zuerst habe ich die Karten komplett erstattet. Schnell wurde mir klar, dass dies finanziell sehr schwierig ist – also habe ich die Veranstaltungen in den Herbst und in das nächste Jahr verlegt: Die Tickets behalten ihre Gültigkeit. Die meisten Kunden haben sich zum Glück darauf eingelassen.
Rheingau.de: Wie lief das mit den Absagen, haben Sie mit den Künstlern direkt gesprochen, haben die Künstler Sie angesprochen?
Wolfgang Junglas: Für mich als Veranstalter war in der Situation auch wichtig: Wenn ich die Veranstaltung absage, kann der Künstler mich in Regress nehmen. Ich habe mit den Künstlern und Agenturen intensiv diskutiert und konnte mich mit meinen Künstlern zum Glück einigen -Ausfallhonorare wurden nur selten fällig.
Rheingau.de: Wie waren die Reaktionen bei den Künstlern?
Wolfgang Junglas: Die Künstler waren genauso unsicher wie ich, keiner wusste so recht, wie es weiter geht. Aber für alle war klar: wir müssen da gemeinsam durch. In der Branche ist die Enttäuschung groß: Kultur und Unterhaltung ist in der Krise häufig das Erste, auf das man glaubt, verzichten zu können. Dabei leistet die Kulturszene so viel für die psychische Gesundheit der Bürger und den Zusammenhalt in der Gesellschaft.
Rheingau.de: Was hängt bei solchen Absagen noch mit dran, wer war alles betroffen bei der Rheingauer Weinbühne von dem Lockdown, wie haben diese Leute reagiert?
Wolfgang Junglas: Ich beschäftige eine Teilzeitkraft an der Theke – die musste ich natürlich von April bis August abmelden. Darüber hinaus haben wir in der Zeit keinen Wein verkauft und die Technikfirma Geib Events hatte auch keine Aufträge. Die Betroffenen haben es mit Verständnis aufgenommen: Es ist wie es ist. Stefan Geib hat am 22. Juni die Brentanoscheune rot angeleuchtet, um auf die Probleme der Veranstaltungsbranche aufmerksam zu machen – das habe ich in den sozialen Medien unterstützt. Die Monate waren allerdings sehr arbeitsintensiv: Veranstaltungen zu verlegen und neu zu organisieren ist aufwendiger als sie durchzuführen. Und man verdient nichts dabei!
Rheingau.de: Wie sieht das mit den finanziellen Einbußen aus, muss trotzdem Miete an die Stadt bezahlt werden, welche anderen laufenden Kosten entstanden trotz der Absagen?
Wolfgang Junglas: Die Stadt Oestrich-Winkel als Vermieter ist sehr kulant und stellt nur dann die Miete in Rechnung, wenn die Brentanoscheune genutzt wird. Wir verhandeln auch gerade über eine Reduzierung der Miete in diesem Jahr. Für mich als Veranstalter gibt es laufende Kosten für Bürokosten, Steuerberater, Internetauftritt und andere wiederkehrende Ausgaben. Hinzu kommen die Einnahmenausfälle, Ausfallhonorare und bei Ticketrückzahlungen die anfallenden System- und Vorverkaufsgebühren – die muss der Veranstalter tragen. Mein Verlust beläuft sich in diesem Jahr auf rund 10.000 Euro - die eigene Arbeitszeit ist dabei nicht berücksichtigt.
Rheingau.de: Erleichterung nach dem Aufheben des Veranstaltungsverbotes: wie sind Sie nach dem Lockdown wieder aktiv geworden? Wie haben Sie das neue Programm kurzfristig zusammengestellt? Wie haben die Künstler reagiert?
Wolfgang Junglas: Nach der Sommerpause sind wir schon im September anstatt wie sonst im Oktober mit Veranstaltungen wieder gestartet: Zuerst haben wir zwei ausgefallene Veranstaltungen nachgeholt. Als ich im August mit der Bewerbung der Veranstaltungen begann, waren die Reaktionen sehr unterschiedlich: Viele freuten sich, dass es wieder Kultur- und Unterhaltungsangebote gibt – andere konnten sich nicht vorstellen wie es funktionieren soll. Gefühlt haben über 90 Prozent der Veranstalter im Rheingau den Betrieb eingestellt und wollen lieber kein Gesundheits- oder finanzielles Risiko eingehen.
Rheingau.de: Zu den Einschränkungen: wie und welches Hygienekonzept haben Sie erstellt, um die Veranstaltungen durchführen zu können? Welchen finanziellen Aufwand und Einschränkungen zum Beispiel durch weniger Gäste brachte das mit sich?
Wolfgang Junglas: Wir haben uns an alle Hygienevorschriften gehalten: Mundschutz bis zum Erreichen des Sitzplatzes, verringerte Zuschauerzahlen, 1,50 m Abstandsregelung, Desinfektionsmittel, eingezeichnete Laufrichtungen, desinfizierte Mikrofone, Plexiglasschutzwand an der Theke und vieles mehr. Die Stadt hat uns dabei unterstützt. Wenn anstatt wie früher maximal 200 nur knapp 60 zahlende Zuschauer im Saal erlaubt sind, können wir im Grunde nicht kostendeckend arbeiten. Weniger Zuschauer verzehren auch weniger – die Thekeneinnahmen können die Defizite nicht auffangen. Der Kulturfonds Frankfurt Rhein Main hat manche Veranstaltungen unterstützt – sonst wäre es gar nicht gegangen.
Rheingau.de: Wie haben die Besucher und die Künstler reagiert?
Wolfgang Junglas: Als wir den Veranstaltungsbetrieb wieder aufgenommen haben, konnte ich eine ganz besondere Atmosphäre beobachten: Die Zuschauer waren freundlicher, die Künstler empathischer. Wegen der geringeren Anzahl der Personen dauerte es manchmal einen Moment länger, „bis der Funke übersprang“ – aber dann war die Stimmung umso intensiver. Alle waren sehr dankbar, dass überhaupt etwas angeboten wurde. Manche Künstler sind zweimal am Tag aufgetreten – dadurch hatten wir lange 12-Stunden-Tage. Die Zuschauer haben unser Hygienekonzept ausdrücklich gelobt. Was das Schönste war: Die glücklichen Gesichter der Zuschauer nach den Auftritten!
Rheingau.de: Jetzt der zweite Lockdown: haben Sie damit gerechnet? Wie waren die weiteren Pläne für diesen Spätherbst?
Wolfgang Junglas: Im November wollten wir drei Veranstaltungen anbieten – die Ticketverkäufe waren auch vielversprechend. Mit einem erneuten bundesweiten Lockdown habe ich nicht gerechnet: Ich dachte, es wird nur regional begrenzte Einschränkungen geben. Es ist traurig, dass die Veranstaltungsbranche wieder so hart betroffen ist.
Rheingau.de: Was bedeutet das jetzt für die Rheingauer Weinbühne? Sind Sie persönlich enttäuscht von diesen Maßnahmen?
Wolfgang Junglas: Ich habe schon eine gewisse Routine darin entwickelt, Veranstaltungen zu verlegen. Für die November-Veranstaltungen habe ich mit den Künstlern sofort Ersatztermine für 2021 vereinbart. Ob diese dann stattfinden, weiß niemand – ich plane auf Sicht.
Ich bin enttäuscht von den Maßnahmen: Ich habe den Eindruck, es ist immer so einfach, die Gastronomie und die Theater zu schließen: Da benötigen die Verantwortlichen nur eine 90-minütige Videokonferenz. Die Gesundheitsämter zu digitalisieren und ein bundesweites Zentralregister aufzubauen wäre wahrscheinlich effektiver – aber dies wurde versäumt. Wir werden wohl eher über einen wirksamen Impfstoff verfügen als über digital vernetzte Behörden. Wir haben auf jeden Fall alles getan, um Infektionen zu verhindern: Ich glaube die Hot Spots finden sich in anderen Bereichen. Gleichzeitig sehe ich ein: Bei den aktuellen Infektionszahlen hilft wohl nur noch ein Lockdown.
Rheingau.de: Wie ist es für die Künstler, wenn es erneut zu Absagen kommt? Gab es Äußerungen von den Gästen?
Wolfgang Junglas: Für die Künstler ist es bitter – sie reagieren lakonisch und helfen persönlich dabei, neue Termine zu finden. Viele Agenturen haben Personal reduziert. Die Gäste reagieren verständnisvoll und behalten zum Glück ihre Tickets – damit helfen sie der Branche.
Rheingau.de: Wie wird es weitergehen, was planen Sie bis zum Ende des Jahres und im ersten Quartal des neuen Jahres?
Wolfgang Junglas: Ich plane Veranstaltungen für das ganze Jahr 2021 – Ende November erscheint das neue Jahresprogramm. Ob wir das Programm so umsetzen können, weiß ich nicht: Aber eine Planung ist notwendig, verschieben kann man Termine immer.
Rheingau.de: Neben der Rheingauer Weinbühne sind Sie auch als Redakteur des SWR tätig. Wie laufen da die Projekte und Dreharbeiten in Zeiten von Corona? Waren zur Zeit des Lockdowns Dreharbeiten möglich?
Wolfgang Junglas: Ich habe das ganze Jahr über gedreht und TV-Sendungen betreut: Unter strengen Hygienebedingungen. Der SWR hat schärfere Hygienestandards als gesetzlich gefordert. Viele TV Formate basieren auf der Nähe zu den Zuschauern – da mussten wir die Konzepte ändern. Wir haben viele Sendungen „neu erfunden“ und konnten sie dadurch Coronagerecht produzieren. Viele beliebte Sendungen wie zum Beispiel „Rhein in Flammen“ fielen aus – dafür haben wir spontan neue Sendungen wie das „Weinduell“ entwickelt und gesendet, auch für mich sind das spannende Prozesse. Dies erforderte ein großes Maß an Kreativität und Einsatz – aber der Aufwand hat sich gelohnt. Selbst die Wahl der Deutschen Weinkönigin konnten wir im angemessenen Rahmen senden – unter Berücksichtigung aller Hygieneauflagen.
Rheingau.de: Wie war es nach dem Lockdown, gab es danach größere Produktionen, der SWR braucht doch auch „Sende-Nachschub“. Und wie ist es jetzt mit dem neuen Lockdown im November, sind Projekte abgesagt? Können Dreharbeiten stattfinden, wenn ja, wie?
Wolfgang Junglas: Im Sommer und Frühherbst haben wir viele Sendungen vorproduziert – das hilft uns im Moment. Aktuell ist es herausfordernd: Wir sind mitten in der Planung für das Weihnachts- und das Fastnachtsprogramm. Für Weihnachten drehe ich übernächste Woche die Produktion von Lebkuchen in einer sehr großen Backstube - mit viel Abstand. Fastnacht ist im Südwesten ein Programmschwerpunkt. Wir wissen aber noch gar nicht, inwiefern Fastnacht überhaupt stattfinden kann: das erschwert die Planung. Eine Sondersendung zum 11.11. hat der SWR bereits abgesagt. Ich bereite gerade eine zweieinhalbstündige Archivsendung mit Höhepunkten von „Mainz bleibt Mainz“ vor – Ersatzprogramm für den Fall, dass die ARD Sendung aus dem Schloss nicht gesendet werden kann. Dreharbeiten finden statt – aber immer mit Maskenschutz, Abstand und desinfizierten Mikrophonen. Wir reagieren flexibel auf die aktuelle Situation – eine andere Option gibt es nicht. Aufgeben gilt nicht!
Ein Bericht von Sabine Fladung vom 14.11.2020.
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