Der Weinbau prägt den Rheingau seit Jahrhunderten
Von den Kulturlandschaften Hessens weist der Rheingau die größte Einheitlichkeit auf, was sowohl für den Naturraum, die gemeinsame Geschichte, das Ortsbild und für die heute überwiegende Nutzung der landwirtschaftlichen Flächen durch den Weinbau gelte. Eigentlich könnte man annehmen, dass der durch die Natur so begünstigte Rheingau im Laufe der Jahrhunderte ein begehrtes Objekt der Machtinteressen gewesen sein müsste. Aber seine Geschichte ist ungeteilt und in ruhigen Bahnen verlaufen. Auch die Freiheiten im Rheingau, die den Rechten städtischer Bürger nahe kamen und über Jahrhunderte hinweg ein hohes Maß an Freizügigkeit und Unabhängigkeit beinhalteten, sind einzigartig. Die 35 Kilometer lange berühmte Landwehr, das „Gebück“, war für diese positive Entwicklung im Rheingau und in Hattenheim wichtig gewesen, ebenso wie der Weinanbau als gute Einnahmequelle.
Die Historie des Rheingau ist seit Jahrhunderten eng verbunden mit dem Weinbau. Seit die Mönche des Zisterzienserklosters den Weinbau im Rheingau etabliert hatten und in vielen Gemeinden bis hin nach Geisenheim und rund um das Eberbachertal Aussiedlerhöfe mit Wein- und Ackerbau aufgebaut hatten, prägt die Weinbaukultur diese Region entlang des Rheines bis heute. Der Handel mit Wein machte den Rheingau reich, Adelige und hohe Herren siedelten sich an und bauten Schlösser und Burgen und den Weinbau weiter aus. Bis zum 30jährigen Krieg gab es im Rheingau einen gewissen Wohlstand. Auch der Krieg selbst war im Rheingau glimpflich abgegangen, zumindest was Kriegshandlungen betraf. Doch der massive Bevölkerungsrückgang im gesamten Reich machte sich auch hier bemerkbar. Der Weinhandel brach zusammen, unterstützt auch dadurch, dass vermehrt ausländische Weine importiert wurden und in der Zeit der Kleinstaaterei eine Vielzahl von Zöllen den Handel über die Maßen verteuerte. Bei der ersten Pestwelle 1666 gab es dann auch im Rheingau viele Opfer zu beklagen, was zur Folge hatte, dass es an Arbeitskräften mangelte, um alle Anbauflächen ordnungsgemäß zu bewirtschaften. In dieser Zeit war es auch im Rheingau noch üblich, Weinberge im gemischten Satz zu halten. Rebsortenreine Weinberge gab es erst ab der Mitte des 18. Jahrhunderts. Und in dieser Zeit setzten auch die ersten ernsthaften Bestrebungen ein, die Qualität des Weines entscheidend zu verbessern. Klöster und Adelsgeschlechter galten dabei, wie schon zuvor, als Vorbilder. Nachverfolgen lassen sich solche Bestrebungen in den Aufzeichnungen der Mainzer Amtskeller, die die Hofkammer, also die Finanzabteilung des Kurfürstentums, zur Aufsicht über ihre Besitzungen 1770 in Eltville und Rüdesheim eingerichtet hatte. Vorher hatten die Landesherren versucht, den Weinbau durch Erlasse zu regeln, die aber in der Regel nicht beachtet wurden. Der Adel war im 18. Jahrhundert mit über 40 adeligen Gütern in den einzelnen Orten des Rheingaus vertreten gewesen, aber nicht in Herrschaftsfunktion, sondern in der Form adeliger Weingutsbesitzer. Am bedeutendsten waren die Familien von Schönborn und von Greiffenclau, jeweils mit Gütern in fünf Orten und die Familien Langwerth und von Metternich, jeweils mit Gütern in drei Orten.
Mit den Amtskellern erlangte die Hofkammer dann die unmittelbare Kontrolle über den An- und Ausbau im Rheingau. Als Leitfaden diente ein Weinbaulehrbuch des Hofrates Freiherr von Forster, das dieser 1765 verfaßt hatte. Bis dahin hatte man sich an Columellas „De re rustica“ aus dem 1. Jahrhundert n. Chr. gehalten was den Betrieb einer Landwirtschaft anging. Forster hatte erkannt, dass die Kluft zwischen den oft adligen Grundherren und dem Personal zu tief geworden war und gegenseitiges Unverständnis die sinnvolle Bewirtschaftung der Ländereien und Weinberge erschwerte. Seine Lehren waren ein großer Schritt nach vorne und hatten lange Bestand. Der nächste große Fortschritt im Qualitätsweinbau manifestierte sich erst mit der Weiterentwicklung der Kellertechnik nach 1945. Von den Amtskellern wurden den Winzern seinerzeit erstmalig detaillierte Vorschriften gemacht, wie der Boden zu bearbeiten und die Reben zu schneiden seien, wann und mit was gedüngt werden musste, wann gelesen wurde und was zur Unkrautbekämpfung zu tun sei. Schließlich gab es auch Anweisungen, schlechte Weinberge zu roden und als Ackerland zu nutzen. Triebfeder war natürlich das Interesse des Kurfürstentums, aus seinen Besitztümern einen ordentlichen Gewinn zu erwirtschaften. Bei der praktischen Umsetzung entstand dadurch aber auch auf breiter Basis ein Qualitätsbewusstsein, das in dieser Form vorher nicht vorhanden gewesen war und das als Grundlage der heutigen Weinbauphilosophie gelten kann.