Oestrich
Der Oestricher Weinkran
Landschaftsprägend und ein Kleinod bis heute ist der historische Kran am Oestricher Rheinufer, der über 250 Jahre lang als Weinverladekran diente. Dereinst verluden die Zisterziensermönche des Kloster Eberbach ihren kostbaren Wein auf Schiffe und verschickten die Ware rheinabwärts Richtung Köln. Die 250 Jahre alte Technik verblüfft bis heute und wird schon mal mit den Erfindungen von Leonardo da Vinci verglichen. Mit dem beginnenden 16. Jahrhundert hatten die Eberbacher Mönche mit einer eigenen Flotte ihren schwungvollen Weinhandel betrieben. Auf flache Lastkähne, von denen noch die Namen „Bock", „Pinth" und „Sau" bekannt sind, wurden bis zu 120 Stückfässer mit rund 1200 Liter, also 144.400 Liter Gesamtfassungsvermögen, verladen. Zur Hilfe nahm man dabei den „Estricher" Weinverladekran von 1745. Verantwortlich für das Verladen war der gesellschaftlich hochangesehene Kranenmeister mit seinen Helfern, den Kranenknechten. Und Zielort der Weinschiffe, die den Rhein passieren durften, ohne Zoll zu zahlen, war meist Köln. Denn hier war einer der wichtigsten Handelsplätze im ausgehenden Mittelalter. Und hier hatten die Eberbacher Mönche auch, wie an vielen Orten entlang des Rheines, große Lagerkeller für ihre edlen Tropfen.
Vor Jahrhunderten hatten Krananlagen eine gewaltige Bedeutung, besonders für den Weinhandel und den Weintransport am Rhein gehabt. Die Hauptabnehmer für der Rheingauer Wein waren in Hafenstädten wie Köln, Bremen, Frankfurt und Amsterdam ansässig, so dass der Weintransport zeitweise fast ausschließlich auf dem Wasserwege von statten ging. Die Kräne waren Einrichtungen des Landesherrn, des Kurfürsten von Mainz, der sie an die Bürger der Standortgemeinden verpachtete. Von 1465 bis 1770 war Oestrich Sitz des sogenannten Mittelamtes gewesen, zu dem außer den heutigen Stadtteilen Oestrich-Winkels auch Johannisberg gehörte. Dem Mittelamt war ein Verladekran zugeteilt gewesen, um die Frachtgüter, vornehmlich Weinfässer, vom Land auf die Schiffe zu befördern.
Als letzte Gemeinde im Rheingau erhielt Oestrich seinen Kran. Der erste Beweis für seine Existenz findet sich in der Landschreiberrechnung von 1549. Alle Kräne des Rheingaus waren damals zunächst Schiffskräne. Land- und Schiffskräne unterschieden sich dadurch, dass das Krangehäuse auf einem flachen Schiffskörper oder auf einer Uferbefestigung ruhte. Der Rhein hatte kein natürliches Steilufer, und eine entsprechend hohe Kaimauer, die den zu beladenden Schiffen bei dem unterschiedlichen Wasserstand ein unmittelbares Anlegen gestattet hätte, war noch nicht errichtet.
Die Schiffskräne besaßen nur ein offenes Kranhaus. Da ihnen das Wasser und im Winter der Eisgang zusetzten, waren schwimmende Kräne selten länger als 15 bis 20 Jahre im Gebrauch. Der Verrottung durch das Wasser ausgesetzt, musste der Kran in regelmäßigen Abständen durch einen Neubau ersetzt werden. Dafür und für die Sicherung der Anlegestege gegen Eisgang waren riesige Holzmengen erforderlich. Obwohl die Bilanz nach 43 Jahren mit einem beachtlichen Verlust abschloss, rechtfertigte die gewonnene wirtschaftliche Bedeutung sowie die angenehmere und gefahrlosere Arbeit die sehr hohen Investitionskosten von fast 6000 Gulden beim Bau. Denn hier wurden sämtliche Weinausfuhren des mittleren Rheingaus verschifft. Allein 1780 waren es 420 Stückfässer mit je 1200 Liter. Im April 1744 brachte Landschreiber Heitzmann das entscheidende Gesuch bei der Hofkammer ein, in dem wegen des schlechten Zustandes des Kranenschiffs zu Oestrich um die Errichtung eines Landkranes gebeten wird. Das Gesuch wurde genehmigt und am 4. August 1745 wurde der Kran in Betrieb genommen.
Bis heute ruht der nahezu quadratische Fachwerkbau von 7,90 mal acht Meter auf einem steinernen Sockel aus Sandsteinquadern. Der bretterverschalte Bau trägt ein reich profiliertes Holzgesims am Dachansatz. Die Gesamthöhe beträgt zwölf Meter. Das zweigeteilte, gestufte Dach setzt sich aus dem Stumpf eines Zeltdaches und einem Kegeldach zusammen, aus diesem ragt auch der hölzerne Ausleger. Das Kegeldach wird von einer Metallkugel, durchbohrt von einem konisch zulaufenden Rundstab, bekrönt. Das Dach ist mit Schiefer gedeckt. Der Ausleger besteht aus einem außerhalb des Dachs herausragenden neun Meter langen Oberbalken, der Unterbalken ist etwa einen Meter kürzer. Die Kette mit der losen Rolle läuft über eine feste Rolle, geschützt unter dem Metalldach des Auslegers in das Innere des Krans.
Um den Kran zu erhalten, hatte die Stadt Oestrich-Winkel vor einigen Jahren den morschen 250 Jahre alten Verladearm gegen einen neuen austauschen lassen, der aus einem speziell für diesen Zweck ausgesuchten Baum gemacht wurde. 30.000 Euro hatte diese Maßnahme 1998 gekostet. Jeweils am 1. Wochenende im Monat ist der Kran zwischen 13 und 17 Uhr geöffnet und kann unter der sachkundigen Führung eines Gästebegleiters kostenlos besichtigt werden An Hand von erklärenden Schautafeln wird den Besuchern im Innern des Krans genau der Bau, die Funktion und die damalige Aufgabe des Krans erläutert.